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Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand

Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand

Titel: Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand
Autoren: Ines Thorn
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Manne täte ein Studium der Heiligen Schrift ganz gut», behauptete sie, doch Jutta maß sie nur mit einem bösen Blick. «Sei doch einmal still, ich bitte dich. Dieser Mann spricht aus, was wir alle denken.»
    «Und sieht dabei noch so gut aus», mischte sich Mutter Dollhaus dazwischen. «Seht Ihr seine Augen? Wie Glutkirschen! Und erst der Mund. Früher hieß es, wenn ein Mann einen solchen Amorbogen hat, dann ist er vom Gott der Liebe höchstselbst gesegnet. Wenn Ihr wisst, was ich meine.»
    Gustelies verzog angewidert den Mund, aber Jutta stieß Mutter Dollhaus in die Seite, und beide kicherten.
    Jetzt trat ein Weib, welches bisher hinter dem Brunnen verborgen gewesen war, hervor. Sie war so groß wie ein Schlachtross, hatte Schultern wie ein Auflader und ein Gesicht, so breit und großflächig, dass man darauf hätte malen können. Das Haar hing ihr in wirren Strähnen um den Kopf herum, die Bluse war zu eng und reichte nicht bis zu den Handgelenken. Ihre klobigen, säulenartigen Beine steckten in plumpen Holzpantinen, aber ihr Mund war rot geschminkt, und sie trug ein handtellergroßes Holzkreuz um den Hals.
    «Wir können der Hölle nur durch eines entgehen», rief der fremde Prediger nun. «Durch die Liebe! Allein die Liebe vermag uns zu erretten.» Die Weiber drängten weiter nach vorn. Der Prediger hob die Hand. «Die Hölle hat sich die Erde untertan gemacht. In Nürnberg herrscht die Pest. Über fünftausend Menschen sind dahingerafft. Wie lange dauert es noch, bis die Seuche hier in der Stadt ankommt?»
    Einige in der Menge stöhnten auf. Gemurmel setzte ein. «Es stimmt, was er sagt», flüsterte Mutter Dollhaus. «Mein letzter Messegast hat es mir erzählt. Er ist durch Nürnberg gefahren. Eine Geisterstadt, so hat er gesagt. Überall in den Gassen lagen Leichen. Mütter schlugen sich auf die nackten Brüste, weil ihre Kinder gestorben waren. Weiber schrien und klammerten sich an die Holzkarren, mit denen ihre toten Männer weggekarrt wurden. Und so manches junge Ding ging in den Fluss, weil es den Liebsten dahingerafft hatte.»
    Ein Stellmacher mischte sich ein. «Ich habe auch davon gehört. Bis nach Frankfurt sind die Heiler und Apotheker gekommen, um hier ein wenig Guajakholz als Medizin zu kaufen. Auch in unserer Stadt gibt es nun nichts mehr davon. Beten sollten wir, dass uns die Pest verschont. Der da vorn spricht wahr.»
    Gerade packte der Prediger das große Weib, legte ihm eine Hand auf dem Rücken und presste es an sich. Mutter Dollhaus stöhnte leidenschaftlich auf, während Jutta sich in lüsternem Schrecken die Hand vor den Mund hielt.
    Gustelies beobachtete mit nach unten gezogenen Mundwinkeln, wie er seinen Mund auf die Lippen des Weibes presste, sich an ihnen festsog und sie so begehrlich küsste, dass ihr ein Schauer den Rücken hinabrann.
    «Jetzt reicht es!», verkündete sie und packte ihren Weidenkorb.
    Aber schon ließ der Prediger das Weib los, breitete beide Arme aus und rief: «Nur die Liebe kann uns retten. Küsse sind unsere Gebete, sind unser Segen. Kommt zu mir und lasst Euch von mir segnen.»
    Eine Magd stürzte nach vorn, küsste den Fremden, dann kam die nächste mit einem Juchzer herbei. Gustelies schüttelte sich und machte, dass sie davonkam. Es wäre ihr unheimlich peinlich gewesen, hätte sie mit ansehen müssen, dass auch Jutta Hinterer und Mutter Dollhaus sich von dem Fremden küssen ließen.
    Noch missmutiger als am Morgen eilte sie die Krämergasse hinauf auf den Liebfrauenberg. Unterwegs traf sie auf den alten Heumüller, der mit einer Kiepe voller Kienspäne aus der nahen Heide kam. «Was ist denn, Gevatterin?», rief er. «Die Weiber rennen alle wie von Sinnen auf den Römerberg. Verteilt da jemand Naschwerk? Ist ein neues Schiff aus Italien angekommen? Meine Alte konnte gar nicht schnell genug springen. Und dabei hat sie es doch im Kreuz.»
    Gustelies schüttelte den Kopf. «Schlimmer, Heumüller, viel schlimmer. Auf dem Römer steht einer und verteilt Küsse.»
    «Was?» Der Heumüller riss sich die Kappe vom Kopf. «Küsse? Aus Zuckerwerk?» Seine Augen blickten ungläubig drein.
    «Pah! Zuckerwerk! Mit dem Mund küsst er. Seht zu, dass Ihr runter zum Berg kommt, Heumüller. Vielleicht könnt Ihr Euer Weib noch zurückhalten.»
    Der Mann nickte und eilte die Gasse so schnell hinab, dass die Späne aus seiner Kiepe flogen.
    Gustelies sah ihm nach. Sie hatte plötzlich einen bitteren Geschmack im Mund und das unbedingte Bedürfnis, die Bitternis mit einem
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