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Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand

Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand

Titel: Die Verbrechen von Frankfurt. Frevlerhand
Autoren: Ines Thorn
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verlässlicher Mann von geradem Charakter war. Gustelies seufzte und schloss die Augen. Sie vermisste ihn gerade heute auf das schmerzlichste und dachte daran, wie vor fünfundzwanzig Jahren alles zwischen ihnen begonnen hatte.

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    Kapitel 4
    S ie war gerade achtzehn Jahre alt geworden und hatte die Mädchenschule bei den Karmeliterinnen hinter sich. Sie hatte lesen und schreiben, rechnen und sticken, nähen und haushalten gelernt und war nun – wie ihr Vater und Mutter versicherten – bereit, zu heiraten. Wenn sie schlank und rank durch die Frankfurter Gassen lief und ihr dichtes braunes Haar wie ein Seidenschleier hinter ihr her wehte, dann zog sie die Blicke der Männer auf sich. Und sie selbst, sie brannte darauf, die Liebe kennenzulernen. Wie war es wohl, sich nach einem anderen Menschen zu verzehren? Wie anders war diese Liebe zu dem, was sie für ihre Eltern verspürte? Gustelies konnte den nächsten Maientanz kaum erwarten. Zwar hatte sie noch keinen Liebsten, aber einen, der ihr gut gefiel. Seit Kindertagen kannten sie sich schon, der Henn Goldschlag und sie, denn der junge Mann war der Sohn ihrer Tante, der Neffe der Mutter. Vetter und Base hätte man sie nennen können, doch die Tante war nicht die richtige, sondern die Stiefmutter des Henn. Zweimal hatten sie sich schon heimlich am Main getroffen und waren ein wenig am Ufer entlangspaziert. Und beim letzten Mal, da hatte der Henn zaghaft ihre Hand gegriffen und sie mit seinen rauen Fingern gestreichelt.
    «Zum Maientanz, da sehen wir uns, nicht wahr?», hatte der Henn gefragt. Und Gustelies hatte genickt. Der Maientanz. Da wurde genau geschaut, wer mit wem tanzte. Und wenn ein Mann sich mit einem Mädchen dreimal hintereinander drehte, dann galten sie schon als so gut wie verlobt. War der letzte Satz von Henn also so etwas wie eine Bitte, ein Antrag gewesen?
    «Wir tanzen zusammen unter dem Maienbaum?» Gustelies’ Stimme zitterte, als sie die Worte aussprach. Aber der Henn, der hatte nichts erwidert, sondern sie nur ganz leicht auf die Wange geküsst.
    «Bis ganz bald, schönste aller Hauslehrertöchter», hatte er gerufen. Und Gustelies hatte vor Glück kaum atmen können. Das Herz galoppierte in ihrer Brust wie ein Pferd beim schnellen Lauf. Und sie fühlte sich so glücklich wie nie zuvor in ihrem Leben.
    Sie war aufgeregt, schon Tage vorher. Die Magd hatte ihr Haar mit Essigwasser gespült, damit es schön glänzte. Von ihrer Mutter hatte sie sich ein wenig Wangenrot geliehen, und das neue Kleid aus taubenblauem Musselin schwang wie eine Wolke um ihre Beine. Ins Haar hatte sie sich Bänder gebunden und an das Kleid eine Blume gesteckt. Auf dem Festplatz gelang es ihr kaum, die Füße still zu halten. Sie wollte tanzen, sich drehen und sehen, wie der Rock ausschwang. Doch sie musste brav sitzen und warten, bis jemand kam, um sie zum Tanz zu holen. Der Erste, das war ein Fischer, bei dem sie schon öfter für die Mutter Flusskrebse gekauft hatte. Doch der Vater schüttelte den Kopf. Nein, mit einem Fischer konnte und sollte sie nicht tanzen. Der war nicht gut genug für sie.
    «Vater, dein letztes Wort?»
    «Ja, Gustelies. Ich weiß, was ich tue. Und ich tue es nur zu deinem Besten.»
    Der Nächste war Lehrling in einem Handelskontor. Mit dem durfte sie sich unter dem Maienbaum drehen. Doch als der Vater sah, wie die Hand des Kontorlehrlings auf Gustelies’ Rücken langsam hinunterrutschte, da schritt er auf die Tanzfläche und zerrte seine Tochter zurück auf die Bank neben die Mutter.
    Da saß sie nun, eingekeilt zwischen den Eltern, und sah den Mägden wehmütig zu, wie sie sich von den jungen Burschen in die Luft werfen ließen. Doch niemand kam mehr zu ihr. Ihr Blick huschte über die Burschen, die in Grüppchen beieinanderstanden. Schon eine Stunde lang wurde zum Tanz aufgespielt, aber der Henn, der war noch immer nicht da. Gustelies schäumte vor Wut und Verzweiflung. Der Vater, der hatte ihr alles verdorben! Den einen weggeschickt, den anderen auf der Tanzfläche stehen lassen. Kein Wunder, dass sich keiner mehr traute. Kein Wunder, dass selbst der Henn die Flucht ergriffen hatte.
    Die Mutter beugte sich zu ihr und flüsterte: «Hab keine Sorge, gleich wird jemand dich holen.»
    Dann zwinkerte sie Gustelies’ Tante zu. War Henn jetzt da? Würde er sie endlich von dieser Schmach hier erlösen? Sie wagte nicht aufzublicken. Gustelies wollte vor Scham im Boden versinken. War sie so hässlich, dass nur einer mit ihr
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