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Die Verborgenen

Die Verborgenen

Titel: Die Verborgenen
Autoren: Scott Sigler
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selbst, sondern an dem Namen, den sie ausgesprochen hatte – ein Name, der ebenso dem Traum angehörte, an den er sich nicht erinnerte, wie der Vergangenheit, die er nicht vergessen konnte. Er wischte sich mit der Hand über seine triefende Nase. Dann drehte er sich um und ging den Flur entlang an der Dusche vorbei in Richtung Wohnzimmer, das unmittelbar neben der Wohnungstür lag.
    Leise betrat er das Zimmer. Seine Mutter Roberta saß in ihrem Sessel vor dem Fernseher. Der Schimmer des Bildschirms drang durch ihr drahtiges Haar und ließ die Silhouette ihres Schädels hervortreten.
    Rex stand regungslos da und wartete darauf, den Namen wiederzuhören, denn er hatte von diesem Namen und von dem Mann, der ihn trug, geträumt. Und erst letzte Nacht, bevor er zu Bett ging, hatte er ein Bild dieses Mannes gemalt. Er musste sich verhört haben.
    Doch er hatte sich nicht verhört.
    »… Maloney war viele Jahre lang Pfarrer in der Cathedral of St. Mary of the Assumption in San Francisco gewesen, bevor er durch einen Missbrauchsskandal seine Stelle verloren hatte. Maloney hatte eine einjährige Haftstrafe hinter sich und war danach auf Bewährung freigekommen. Amy Zou, die Polizeichefin von San Francisco, sagte heute Morgen in einer Pressekonferenz, dass ihre Behörde im Augenblick daran arbeite, Informationen über den Mord an Maloney zusammenzutragen. Es sei jedoch noch zu früh, um Aussagen über die Motive des Täters zu machen.«
    »Pater Maloney ist tot?«
    Rex sagte das, ohne nachzudenken. Hätte er nachgedacht, hätte er sich schweigend zurückgezogen.
    Roberta drehte sich um, wobei sie sich auf die Armlehne des Sessels stützte, um ihn anzusehen. Das Licht des Fernsehers schimmerte auf ihrem pockennarbigen Gesicht. Zwischen ihren mageren Fingern hing eine Zigarette. »Was machst du hier im Fernsehzimmer?«
    »Oh, ich habe nur … ich habe den Namen von Pater Maloney gehört.«
    Sie blinzelte. Das tat sie immer, wenn sie nachdachte. Dann nickte sie fast unmerklich. »Ich erinnere mich an die Lügen, die du über ihn erzählt hast«, sagte sie. »Schmutzige, dreckige Lügen.«
    Noch immer stand Rex vollkommen regungslos da. Er fragte sich, ob sie den Gürtel holen würde.
    »Sieh zu, dass du in die Schule kommst«, sagte sie. »Hörst du mich?«
    »Ja, Roberta.« Sie mochte es nicht, wenn er Mom oder Mutter zu ihr sagte. Als er klein war, hatte er sie so genannt, doch irgendwann nach dem Tod seines Vaters hatte sie verlangt, dass er damit aufhörte.
    Rasch verließ Rex das Fernsehzimmer, bevor sie ihre Meinung möglicherweise ändern würde. Sobald sie ihn nicht mehr sehen konnte, rannte er durch den schmalen Flur in sein Zimmer. Darin befanden sich sein Bett, ein kleiner Fernseher mit einer Spielkonsole, ein Schrank und ein kleiner Schreibtisch samt Hocker – die vollständige Summe seiner Existenz. Er zog sich an und packte seinen Rucksack, wobei er darauf achtete, seine Notizen für den Englischkurs – er war im ersten Jahr auf der Highschool – vom Boden aufzuheben und mitzunehmen. Keine Zeit für eine Dusche. Er musste aus dem Haus sein, bevor Roberta ein Grund einfiel, sich über ihn zu ärgern. Er hoffte, dass er nicht nach Urin roch – irgendein Penner benutzte die Gasse vor Rex’ Fenster als Badezimmer. Aber eigentlich war das nicht so wichtig, denn manchmal ließ ihn Roberta ohnehin nicht duschen.
    Bevor Rex das Zimmer verließ, griff er nach der Zeichnung, die auf seinem Schreibtisch lag. Er hatte sie letzte Nacht angefertigt. Das Bild zeigte einen viel größeren Rex, einen Rex mit muskulösen Armen und breiter Brust, der Pater Maloney mit bloßen Händen das linke Bein brach. Und jetzt war Pater Maloney tot. Es fühlte sich komisch an, die Zeichnung zu betrachten. Komisch und außerdem so, als hätte er etwas Unrechtes getan.
    Rex legte die Zeichnung in die Schreibtischschublade. Er schloss die Schublade und musterte sie genau, um sicher zu sein, dass kein Stück des Papiers daraus hervorschaute.
    Es wurde Zeit, sich auf den langen Weg zur Schule zu machen. Rex betete darum, nirgendwo den Schlägertypen von der BoyCo zu begegnen.
    Pater Paul Maloney war tot, und das war kaum zu fassen. Vielleicht würde Rex es heute zur Schule und später wieder nach Hause schaffen, ohne dass irgendjemand ihn verprügelte. Vielleicht wurde der Tag ja immer besser.

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