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Die verborgene Wirklichkeit

Die verborgene Wirklichkeit

Titel: Die verborgene Wirklichkeit
Autoren: B Greene
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Landschafts-Multiversum zum Beispiel befinden sich noch im Anfangsstadium. Die Sammlung der möglichen stringtheoretischen Universen – die String-Landschaft – ist schematisch in Abbildung 6.4 dargestellt, detaillierte Karten dieses zerklüfteten Geländes hat indes noch niemand gezeichnet. Wie die Seefahrer der Antike, so haben wir ein ungefähres Gefühl dafür, was da draußen vorhanden ist; aber um eine Karte des unbekannten Landes zu erstellen, bedarf es noch umfangreicher mathematischer Erkundung.
Haben wir dies erreicht, müssen wir im nächsten Schritt herausfinden, wie die potenziellen Universen sich in dem zugehörigen Landschafts-Multiversum verteilen. Der entscheidende physikalische Prozess, die Entstehung von Blasenuniversen durch Quantentunneln (dargestellt in den Abbildungen 6.6 und 6.7 ) ist im Prinzip gut erschlossen, muss aber in der Stringtheorie noch deutlich genauer quantitativ untersucht werden. Verschiedene Wissenschaftlerteams (darunter auch mein eigenes) haben erste Aufklärungsarbeiten unternommen, doch noch ist ein riesiges Gelände zu erkunden. Wie wir in früheren Kapiteln erfahren haben, ergeben sich vielfältige ähnliche Unsicherheiten auch im Zusammenhang mit den anderen Multiversums-Theorien.
    Ob es Jahre, Jahrzehnte oder noch länger dauern wird, bis neue Beobachtungen und theoretische Fortschritte zur Herleitung detaillierter Vorhersagen über ein bestimmtes Multiversum führen, weiß niemand. Sollte die derzeitige Situation anhalten, stehen wir vor einer Entscheidung. Definieren wir Wissenschaft – »seriöse Wissenschaft« – so, dass sie nur jene Gedanken, Bereiche und Möglichkeiten umfasst, die heutige Menschen auf dem Planeten Erde prüfen oder beobachten können? Oder erweitern wir unsere Sichtweise und betrachten wir Ideen auch dann als »wissenschaftlich«, wenn sie sich mit den technischen Fortschritten überprüfen lassen, die wir uns für die nächsten hundert Jahre ausmalen können? Für die nächsten zweihundert Jahre? Noch länger? Oder nehmen wir eine noch umfassendere Sichtweise ein? Lassen wir zu, dass Wissenschaft alle Wege beschreitet, die sie offenbart, dass sie sich in Richtungen bewegt, die zwar von experimentell bestätigten Konzepten ausgehen, unsere theoretischen Überlegungen aber in verborgene Bereiche führen, die vielleicht für alle Zeiten außerhalb unserer Reichweite liegen?
    Eine klare Antwort auf solche Fragen gibt es nicht. An dieser Stelle kommt der persönliche wissenschaftliche Geschmack zum Tragen. Ich verstehe den Impuls, wissenschaftliche Forschung auf diejenigen Ideen zu beschränken, die man jetzt oder in naher Zukunft überprüfen kann, sehr gut; auf diese Weise haben wir immerhin das derzeitige wissenschaftliche Gedankengebäude errichtet. Ich halte es aber auch für engstirnig, unser Denken an die willkürlichen Grenzen zu binden, die uns durch unseren Aufenthaltsort, unsere Zeit und unser Wesen auferlegt werden. Die Wirklichkeit geht über solche Grenzen hinaus, also ist damit zu rechnen, dass auch die Suche nach diesen Wahrheiten sie früher oder später überschreiten wird.
    Die Erweiterung ist eher nach meinem Geschmack. Die Grenze ziehe ich allerdings bei Ideen, für die keine Aussicht besteht, dass man sie jemals sinnvoll Experimenten oder Beobachtungen wird gegenüberstellen können – allerdings
nur dann, wenn die Begrenzungen nicht auf das Unvermögen der Spezies Mensch oder technische Hürden zurückzuführen sind, sondern auf das Wesen der Überlegungen selbst. In diese Niederungen begibt sich von allen hier betrachteten Multiversen nur die voll ausgeprägte Version des letztmöglichen Multiversums. Wenn wir absolut alle möglichen Universen einschließen, spielt es keine Rolle, was wir messen oder beobachten: Das letztmögliche Universum wird unseren Befunden immer mit zustimmendem Nicken einen Platz einräumen. Die anderen acht in Tabelle 11.1 zusammengefassten Multiversen vermeiden diese Falle. Jedes von ihnen entspringt einem fundierten, logischen Gedankengang, und alle sind einer Beurteilung zugänglich. Sollten Beobachtungen überzeugende Belege dafür liefern, dass die räumliche Weite unseres Kosmos endlich ist, fällt das Patchwork-Multiversum aus der Betrachtung heraus. Sollte unser Vertrauen in die kosmische Inflation ins Wanken geraten, vielleicht weil man die Ergebnisse einer genaueren Vermessung der kosmischen Hintergrundstrahlung nur dadurch erklären kann, dass man stärker verzerrte (und damit
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