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Die verborgene Wirklichkeit

Die verborgene Wirklichkeit

Titel: Die verborgene Wirklichkeit
Autoren: B Greene
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warum ein bestimmtes System mathematischer Gleichungen diesen oder jenen Aspekt des physikalischen Universums beschreibt?
    In den bisher erörterten Multiversums-Theorien steckt das Potenzial, unser Denken zu solchen Fragen grundlegend zu verändern. Im Patchwork-Multiversum sind die physikalischen Gesetze in allen Einzeluniversen die gleichen, die Teilchenanordnungen nicht; in ihnen spiegeln sich heute die unterschiedlichen Anfangsbedingungen zu einem früheren Zeitpunkt wider. In einem solchen Universum müssen wir also die Frage, warum die Anfangsbedingungen in unserem
Universum so und nicht anders waren, neu stellen. Die Anfangsbedingungen können von einem Universum zum anderen variieren und tun es in der Regel auch; eine grundsätzliche Erklärung für eine einzelne Anordnung gibt es also nicht. Wenn man nach einer solchen Erklärung sucht, stellt man die falsche Frage; man überträgt Denkmuster, die für ein einzelnes Universum angemessen sind, auf ein Multiversum. Stattdessen sollte man eine andere Frage stellen: Gibt es irgendwo im Multiversum ein Universum, in dem die Teilchenanordnung und demnach auch die Anfangsbedingungen mit dem übereinstimmen, was wir hier beobachten? Oder, noch besser: Können wir zeigen, dass es eine Fülle solcher Universen gibt? Wenn ja, würde man die grundsätzliche Frage nach den Anfangsbedingungen mit einem Schulterzucken beantworten; in einem solchen Multiversum bedarf es für die Anfangsbedingungen unseres Universums ebenso wenig einer Erklärung wie für die Tatsache, dass es irgendwo in New York ein Schuhgeschäft gibt, das unsere Schuhgröße führt.
    Im inflationären Multiversum können die Natur»konstanten« von einem Blasenuniversum zum nächsten ebenfalls variieren und tun das in der Regel auch. Erinnern wir uns noch einmal an Kapitel 3: Unterschiede in der Umwelt – die unterschiedlichen Werte der Higgs-Felder, die sich durch die einzelnen Blasen ziehen – erzeugen unterschiedliche Teilchenmassen und Krafteigenschaften. Das Gleiche gilt für das Branen-Multiversum, das zyklische Multiversum und das Landschafts-Multiversum, in denen die Formen der zusätzlichen Dimensionen aus der Stringtheorie in Verbindung mit Unterschieden in Feldern und Flüssen zu Universen mit unterschiedlichen Eigenschaften führen – das reicht von der Masse eines Elektrons bis zu der Frage, ob es überhaupt Elektronen gibt, und von der Stärke des Elektromagnetismus über die Frage, ob es eine elektromagnetische Kraft überhaupt gibt, bis zum Wert der kosmologischen Konstante und so weiter. Vor dem Hintergrund dieser Multiversen stellt man mit der Forderung nach einer Erklärung für gemessene Teilchen- und Krafteigenschaften wieder einmal die falsche Frage; es ist eine Frage, die vor dem Hintergrund eines einzigen Universums formuliert wurde. Stattdessen sollten wir fragen, ob es in einem dieser Multiversen ein Universum mit den physikalischen Eigenschaften gibt, die wir messen. Noch besser wäre der Nachweis, dass Universen mit unseren physikalischen Eigenschaften in großer Zahl vorhanden sind oder dass ihre Zahl zumindest unter den Universen, die Leben in dem uns bekannten Sinn erlauben, groß ist. Aber ebenso, wie es sinnlos ist, nach dem Wort zu fragen, mit dem Shakespeare seinen »Macbeth« schrieb, so ist es auch sinnlos, von den Gleichungen zu verlangen, die Werte der speziellen, hier beobachteten physikalischen Eigenschaften auszuzeichnen.

    Das simulierte und das letztmögliche Multiversum sind ein anderes Paar Stiefel; sie erwachsen nicht aus bestimmten physikalischen Theorien. Dennoch können auch sie das Wesen unserer Fragen verändern. In diesen Multiversen werden die einzelnen Universen von unterschiedlichen mathematischen Gesetzen beherrscht. Wie die unterschiedlichen Anfangsbedingungen und Naturkonstanten, so lässt auch eine Vielfalt an Naturgesetzen darauf schließen, dass es falsch ist, nach einer Erklärung für die besonderen, gerade hier wirksamen Gesetze zu fragen. Unterschiedliche Universen haben unterschiedliche Gesetze; wir erleben gerade diese und keine anderen, weil diese zu den Gesetzen gehören, die sich mit unserem Dasein vertragen.
    Zusammenfassend sehen wir, dass durch die in Tabelle 11.1 aufgeführten Multiversums-Theorien drei wichtige Aspekte unserer herkömmlichen wissenschaftlichen Welterklärung, die vor dem Hintergrund eines einzigen Universums zutiefst rätselhaft erscheinen, zu einer prosaischen Angelegenheit werden. In verschiedenen
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