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Die Verbannung

Die Verbannung

Titel: Die Verbannung
Autoren: Cesare Pavese
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Sie ist doch immer Sonntag.«
    Stefano setzte sich und wischte sich über die Stirn. »Trinken Sie einen Kaffee, Vincenzo?«
    Vincenzo schlug die Zeitung zu und hob den Kopf.
Unter seiner kahlen Stirn wirkte sein Lächeln ver-
wundert.
»Ich danke Ihnen, Herr Ingenieur.«
    Sein nackter Kopf glich dem eines kleinen Kindes. Jung, wie er war, sah er bedauernswert aus, wenn er wie von ungefähr die Lippen schürzte. Ein Kopf für einen roten Fez.
    »Immer Sonntag!« sagte Stefano. »Sie haben doch in
    der Stadt gelebt und wissen, wie langweilig der Sonntag ist.«
    »Aber damals war ich jung.« »Sind Sie jetzt etwa alt?«
    Vincenzo zog eine Grimasse. »Wer heimkehrt ins Dorf, ist alt. Mein Leben war anderswo.«
    Der Kaffee kam. Sie schlürfen ihn langsam. »Was gibt's heute zu essen, Herr Ingenieur?« sagte Vincenzo plötzlich, als er die alte Wirtin verschwinden sah. »Einen Teller Spaghetti.«
    »Und dann gibt's Ölgebackenes«, sagte Vincenzo. »Heute früh ist Klippfisch verkauf worden, im Mondschein gefangen. Auch meine Frau hat welchen gekauf. Er ist schilferig aber fein.«
    »Da sehen Sie, daß für mich kein Sonntag ist. Ich lasse es bei den Spaghetti bewenden.«
    »Nur? Zum Teufel, Sie sind doch jung! Hier sind Sie doch nicht im Gefängnis.«
    »Aber vor seiner Tür. Ich bekomme noch keine Unterstützung.«
    »Zum Teufel, die steht Ihnen doch zu. Sie bekommen sie doch bestimmt.« »Zweifellos. Und bis dahin esse ich Oliven.«
    »Und warum verausgaben Sie sich mit Kaffee?« »Haben Ihre Araber das nicht auch so gehalten? Ein Kaffee ist besser als ein Essen.«
    »Das tut mir leid, Herr Ingenieur. Spaghetti und Oliven! Das nächste Mal lade ich Sie ein.«
    »Entschuldigen Sie, die Oliven esse ich abends. Zum Brot schmecken sie gut.«
    Vincenzo war rot und verärgert. Er faltete die Zeitung zusammen und schlug sie auf den Tisch: »Das ist doch Ihr Einkommen! Entschuldigen Sie, Herr Ingenieur, aber Sie wären ja ein Narr. Mit der Regierung gibt's doch keine Diskussion!«
    Stefano schaute ihn ausdruckslos an. Ein Gesicht zu machen, als empfinde er gar nichts, gab seinem Herzen den Frieden wieder: wie wenn man die Muskeln in Erwartung eines Schlages anspannt. Aber Vincenzo schwieg, und da seine Anstrengung ins Leere ging, begann Stefano zu lächeln. An diesem Morgen war sein Lächeln echt, wenn er auch den Mund dabei verzog. Es glich dem Blick, den er aufs Meer geworfen hatte. Es überkam ihn wie eine automatische Grimasse, und war doch warm und ursprünglich. An diesem Tag aß Stefano nicht im Wirtshaus. Er ging mit einem Packen Brot nach Hause zurück, machte einen Bogen um den Laden von Elenas Mutter und schaute zu Gianninos Fenster hinüber: er hofe, den Nachmittag nicht einsam verbringen zu müssen.
    Aber niemand kam. Als er ein bißchen Fleisch und ölgetränktes Brot geknabbert hatte, warf Stefano sich auf sein Bett, fest entschlossen, nur dann aufzuwachen, wenn man seinen Arm berührte.
    In der glühenden Hitze konnte er nicht ruhig liegen bleiben und stand von Zeit zu Zeit auf, um zu trinken: ohne Durst, wie er es im Gefängnis getan hatte. Aber dieses freiwillige Gefängnis war schlimmer als das andere. Allmählich begann Stefano sich zu hassen, weil er nicht den Mut fand fortzugehen.
    Später ging er das Bad nachholen, das er am Morgen versäumt hatte, und das stille Wasser bei Sonnenuntergang, in dem ihm ein Schauder über die schon sonnenverbrannte Haut lief, schenkte ihm ein bißchen Frieden. Er war im Wasser, als er nach sich rufen hörte. Am Strand winkte Giannino Catalano.
    Als er sich wieder angezogen hatte, setzten sie sich zusammen in den Sand. Giannino kam direkt vom Zug: er war in der Stadt gewesen; vom Zugfenster aus hatte er ihn an den Strand gehen sehen. Stefano sagte ihm lächelnd, daß er am Morgen kurz bei seinen Eltern gewesen sei.
    »Oh«, sagte Giannino, »die werden Ihnen wohl auseinandergesetzt haben, daß ich ein Nichtstuer bin. Seit ich aus der Schule bin, weil mir dieser Bart wuchs, haben sie nichts anderes im Sinn.«
    Stefano betrachtete in Ruhe das knochige Gesicht und das schüttere Bärtchen seines Kumpans. In dem stillen und kühlen Licht meinte er sich wieder an ihn erinnern zu können, wie er an jenem längst vergangenen Sonntag rittlings und gelangweilt auf seinem Stuhl saß. Giannino zog ein Pfeifchen aus der Tasche.
    »Ich bin Soldat gewesen und habe etwas von der Welt gesehen«, sagte er und stopfe sie mit dem Finger. »Dann hab ich's aufgesteckt, es glich der Schule
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