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Die Verbannung

Die Verbannung

Titel: Die Verbannung
Autoren: Cesare Pavese
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umsäumten, wo der Holzwurm tickte und die Wände wie Stallmauern mit Maiskolben und Olivenzweigen bedeckt waren, gemahnten an ihr Ziegengesicht, an ihre niedrige Stirn und an eine geheimnisvolle jahrhundertealte Intimität.
    »Haben Sie Don Giannino Catalano gesehen?« fragte Fenoaltea und sammelte die Karten ein. »Sie sind dran, Herr Ingenieur.«
    »Er ist nicht gekommen, weil er Besuch hatte«, sagte Stefano.
    »Er hat an den Festtagen immer zu tun«, sagte Vincenzo anzüglich.
    »Fragen Sie Camobreco mal, was er von seinen Besuchen hält.«
    »Camobreco ist der alte Goldschmied«, erklärte Gaetano, »der letztes Jahr mit dem Revolver aus dem Schlafzimmerfenster auf ihn geschossen hat. Während der Alte sein Geld zählte, hat Don Giannino Catalano seinen Spaß mit seiner Frau gehabt. Es ist dann mit der Behauptung in Ordnung gebracht worden, der Alte habe nachts einen Dieb zu sehen geglaubt.« »Oder glauben Sie das am Ende?« fragte jemand. »Niemand glaubt das, aber um des lieben Friedens willen, will Camobreco, daß es ein Dieb war. Herr Ingenieur, auf ein Wort, ehe Sie fortgehen.«
    Gaetano begleitete ihn an den Strand. Die Sonne stach so sehr, daß Stefano vorandrängte, um sich möglichst bald ausziehen zu können, aber sein Begleiter hielt ihn am Arm fest.
    »Kommen Sie baden, Fenoaltea«, sagte Stefano. Gaetano blieb im Schatten zwischen zwei Häusern stehen.
    »Sie haben sich an das Meer gewöhnt. Wie werden Sie es diesen Winter aushalten?« sagte er.
    »Man nimmt so viele Gewohnheiten an. Sie sind unsere einzige Gesellschaf.«
    »Und die Frauen, Herr Ingenieur, wie kommen Sie ohne die aus? Waren Sie an die nicht gewöhnt?« Stefano lächelte. Gaetano hatte sich an die Mauer gelehnt und fingerte mit seiner rechten Hand an Stefanos Jackenaufschlag herum.
    »Ich lasse Sie zu Ihrem Bad gehen, Herr Ingenieur. Aber ich wollte Sie warnen. Nicht wahr, seit vier Monaten sind Sie doch von zu Hause fort? Sie sind doch ein Mann?« »Man muß nur nicht daran denken.«
    »Entschuldigen Sie, das ist keine Antwort. Ich wollte Sie warnen. Trauen Sie Don Giannino Catalano nicht. Wenn Sie eine Frau brauchen, dann sagen Sie es mir.« »Was hat das damit zu tun?«
    Gaetano setzte sich in dem Sand des Sträßchens wieder in Bewegung und hakte Stefano abermals unter. An der Ecke wurde das Meer sichtbar.
    »Gefällt Ihnen diese Magd wirklich, Herr Ingenieur?« »Welche?«
    »Na, Concia, die Ihnen wie eine Ziege vorkommt. Ja …?«
    Stefano blieb in der drückenden Hitze stehen. Plötzlich sagte er:
    »Fenoaltea …«
    »Regen Sie sich nicht auf, Herr Ingenieur«, und die dickliche Hand strich an seinem Arm entlang, um seine Hand zu streicheln.
    »Ich wollte Sie nur darauf aufmerksam machen, daß in dem Haus, wo sie dient, Don Giannino Catalano herumschnüffelt, der nicht der Mann ist, eine Frau mit einem anderen zu teilen. Vor allem nicht mit Ihnen, der Sie nicht von hier stammen.«
    An diesem Tag spielte eine Horde von kleinen Jungen im Wasser: zwei vor allem stritten sich planschend um den Felsen. Stefano saß im Sande und schaute ihnen lustlos zu. Sie waren nackt und braun wie Meertiere und kreischten in ihrem Dialekt; und Stefano kam das ganze Meer jenseits der Brandung wie eine gläserne, lärmende, öde Landschaf vor, bei deren Anblick alle seine Sinne sich verkrochen wie der Schatten unter seinen Knien. Er schloß die Augen, und das Wolkchen aus Gianninos Pfeife zog an ihm vorüber. Seine Spannung wurde so schmerzhaf, daß Stefano aufstand, um fortzugehen. Ein Junge kreischte ihm etwas nach. Ohne sich umzudrehen, stieg Stefano den Strand wieder hinauf.
    Stefano befürchtete, daß Elena ihn am Nachmittag besuchen werde. Er hatte sich am Morgen, als er aufstand, so sehr nach ihr gesehnt, und zwar körperlich. Und jetzt wollte er nichts mehr von ihr wissen. Er wollte allein sein, sich in seine Höhle verkriechen. Lachend, undeutlich, lärmend und töricht wie bei der Kirchweih am Tage zuvor, umtanzten ihn die Gesichter der anderen; aufmerksam und unfreundlich wie in den ersten Tagen, wie vor einer Stunde. Unter diesen Augen voller Hinterhältigkeit, unter diesen schmeichlerischen Fingern lief ihm ein Schauer über die Haut. Er hatte das Gefühl, Teile seiner selbst seien in der Gewalt der anderen. Da war Elena, die ihn duzte und ein Recht zu vorwurfsvollen Blicken hatte. Da war sein geheimstes Inneres, das er so töricht im Wirtshaus ausposaunt hatte, da waren, im hellen Sonnenlicht, seine nächtlichen Angstgefühle.
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