Die Vampirin - Lieber untot als todlangweilig
lachte. Ihre Augen wurden feucht, und Tränen strömten ihr über die Wangen. Sie schlug mit der Faust auf ihren Tisch, japste nach Luft, zeigte mit dem Finger auf mich und lachte.
Als ich den Klassenraum verließ, lachte sie noch immer.
Mit zusammengebissenen Zähnen radelte ich nach Hause. Meine Wangen glühten.
Fünftes Kapitel
Die Knochenlady unterbrach unser Abendessen mit einem Teller Kekse.
Das Klopfen kam wie ein sandpapierhelles Flüstern von der Haustür. Mom legte ihren Löffel hin, ging nachsehen und kehrte gleich darauf mit unserer älteren Nachbarin zurück.
»Oh, lassen Sie sich durch mich bitte nicht beim Abendbrot stören!«, rief Lenora Bones, während sie ins Esszimmer schlurfte und eine Duftwolke mitbrachte, die köstliche Kekse verhieß. Sie hielt einen in Alufolie verpackten Teller in den spinnenartigen Händen. Die ausgezehrte alte Lady hätte keinen treffenderen Namen tragen können, denn sie bestand nur aus dünner Haut und einem winzigen Skelett. Sie stand ein wenig gebeugt da und reichte meiner Mutter kaum bis zur Schulter.
Mom stellte ihr Dad und mich vor.
»Oh ja, ich hab dich mit deinem lebhaften Hund
spielen sehen, junge Dame«, sagte Lenora Bones strahlend. Ihre feucht glitzernden Augen waren grau wie Sturmwolken.
»Essen Sie doch mit uns«, schlug meine Mutter vor.
»Oh nein, das geht nicht. Aber vielen Dank. Ich wollte schon früher mal vorbeisehen und Hallo sagen, aber bei all dem Putzen, Auspacken und Einrichten habe ich erst jetzt dafür Zeit gefunden. Endlich hab ich es geschafft, Kekse zu backen, und dachte, sie wären ein netter Vorwand, um kurz reinzuschauen und mich vorzustellen.« Sie stellte den verpackten Teller auf den Tisch. Ihre knorrigen Finger waren wie dünne Zweige, und unter der fleckigen Haut ihrer Hände waren zahllose Adern zu sehen. »Es sind nur ein paar Zuckerplätzchen.«
Mom rückte einen Stuhl vom Tisch ab und bestand darauf, dass Mrs Bones Platz nahm.
»Tja, ich hab das Gefühl, ganz furchtbar zu stören...« Die alte Frau sah sich verlegen um, ließ sich dann aber zum Hinsetzen nötigen.
»Unsinn«, versicherte ihr Mom, schnippte mit den Fingern und wies mich in die Küche. »Ich wollte auch schon bei Ihnen klopfen und Hallo sagen.«
Ich ging in die Küche und kam mit einem Teller Suppe zurück.
»Tomatensuppe! Die esse ich am liebsten!« Unsere
runzlige Nachbarin klatschte freudig in die Hände. »Vielen Dank, Svetlana, das ist herrlich. Und so ein schöner Name!« Sie ergriff mit einer raschen Bewegung meine Hand und drückte sie weit kräftiger, als ich es ihr zugetraut hätte.
»Tja«, begann Dad und räusperte sich, »Stephanie hat sich erst kürzlich auf Svetlana versteift. Eigentlich heißt sie nach meiner Mutter, die...«
»Oh, Svetlana ist ein wundervoller Name!«, unterbrach ihn Mrs Bones und nickte energisch. »Sehr exotisch, sehr mysteriös... und stark! Jeder sollte seinen Namen selbst aussuchen. Bones ist natürlich absolut passend für mich!« Sie lachte leise, breitete eine Papierserviette aus und stopfte sich eine Ecke in den hohen Kragen ihres schwarzen Kleids. »Mein Vater hat mich allen Ernstes Sheila genannt - unglaublich, oder? Dabei bin ich nun wirklich keine Sheila.« Sie zwinkerte mir zu, stieß mit dem Besteck an den Rand ihres Tellers, nahm einen Löffel dampfende Suppe und blies darüber. »Sieht großartig aus.«
»Von wo sind Sie zugezogen, Mrs Bones?«, fragte Mom.
»Alle, die mich zum Essen einladen, müssen mich Lenora nennen, ja? Und bis vor Kurzem habe ich in London gewohnt.« Schlürf. Schlürf. »So eine ausgezeichnete Suppe! Aber seit meiner Pensionierung bin ich ziemlich viel herumgereist. Ich hab hier und da
und überall gelebt: in Australien und China und im flachen Nordosten von Peru - leider vertrage ich die dünne Bergluft nicht mehr. Und in fast allen Ecken Afrikas. Ein toller Kontinent: schön und heiß.«
»Und welchen Beruf hatten sie?«, fragte Dad.
»Ich war Lehrerin.« Sie kühlte ihre Suppe und schlürfte einen weiteren Löffel davon. »Köstlich.«
»Ich habe gerade selbst wieder angefangen zu unterrichten«, sagte Mom. »In Vertretung - bis sich eine Festanstellung ergibt.«
»Das ist wundervoll«, erwiderte Mrs Bones. »Ich habe immer gern unterrichtet, wissen Sie. Und die Kinder habe ich auch gemocht. Und das Lernen. Wobei Svetlana mir vielleicht helfen kann.« Die alte Lady wandte mir ihren dünnhäutigen Schädel zu und nahm mich mit glänzenden Augen ins Visier. »Liest du
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