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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin
Autoren: Astrid Fritz
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Fakten immer wieder hindurch: dass Eva eine außergewöhnliche, sehr selbständige und auch gewitzte junge Frau war, die sich jahrelang erfolgreich über Wasser gehalten hatte – mit ihrem Geschick im Schneiderhandwerk einerseits, mit kleinen Tricks und Betrügereien andererseits.
    Dazu gehörte auch die damals unter Bettlern häufig angewandte Vortäuschung eines Veitstanzes, einer Art epileptischen Anfalls. Ob Eva nun tatsächlich an solchen (Schwäche-)Anfällen litt oder sie nur vorgab, ist ungewiss. Sicher aber ist, dass sie aus einem unglücklichen Elternhaus floh und sich auf eigene Faust vom böhmischen Glatz bis ins schwäbische Nördlingen durchgeschlagen hatte.
    Ähnlich wie schon in meinem ersten Roman, «Die Hexe von Freiburg», habe ich versucht, die Fakten, die aus dem Prozess bekannt sind, mit Leben zu füllen, habe versucht, mich in die Beweggründe dieser jungen Frau einzufühlen, die dazu geführt haben mochten, dass sie jahrelang durch die Welt gewandertist, sich allein und schutzlos den Gefahren der Landstraße ausgesetzt hat, bis sie zuletzt als Mann verkleidet weiterzog.
    Einiges in meinem Roman mag den Lesern unwahrscheinlich vorkommen, doch gerade die unwahrscheinlichsten Vorkommnisse sind historisch belegt: so etwa, dass ihre Verkleidung nicht einmal während ihrer Krankheit im Spital oder im Badhaus durchschaut wurde und eine Bademagd sie gar verführen wollte; dass sie als Handwerksbursche in den Zunfthäusern, dieser Bastion männlichen Berufslebens, ein und aus ging; und dass sie offiziell verlobt war mit der Regensburger Spitalmutter, einer angesehenen, schon etwas älteren Bürgersfrau. Auch bei der Darstellung von Evas Kerkerhaft in Nördlingen, den Verhören, der Folter, der Urteilsverkündung und schließlich der Hinrichtung habe ich mich an den historischen Fakten orientiert.
    Anderes hingegen habe ich meiner Phantasie überlassen, angeregt von den zahlreichen, teils auch widersprüchlichen Aussagen, die sie selbst zu ihrem Leben gemacht hatte. Auch die historische Eva ist als halbes Kind aus dem Elternhaus und vor einer Zwangsheirat geflohen – bei mir kommen noch die sexuellen Übergriffe des Stiefvaters hinzu. Mit der zunehmenden Rechtlosigkeit und Ausgrenzung von Frauen zu Beginn der Frühen Neuzeit nämlich (im Mittelalter hatten sie innerhalb ihres Standes weitaus mehr Freiheiten), mit der aufkommenden Sexualfeindlichkeit voller Heuchelei und Bigotterie sind Fälle brutalen Inzests und Vergewaltigungen Minderjähriger in den Gerichtsakten des 16.   Jahrhunderts gehäuft verzeichnet.
    Erfunden ist ebenfalls die Liebe zu Moritz. Aber auch hierzu haben mich historische Hinweise angeregt: Etliche Gnadengesuche von Adligen, denen Eva gut bekannt gewesen sein musste, hatten sie vor dem qualvollen Tod des Ertränkens bewahrt. Darüber hinaus war der Kontakt zwischen dem einfachen Landadel und der Landbevölkerung vielerorts recht eng, man unterschiedsich kaum in Alltagskultur und Sprache. Eine Liebesbeziehung zwischen Landjunkern und Bauernmädchen kam daher vor.
    War Eva Barbiererins «Possenspiel» nun eine einzigartige Ausnahme? War ihre Art von Leben tatsächlich so unerhört, wie es den Bewohnern der kleinen süddeutschen Handelsstadt Nördlingen erschien? Nein, sicherlich nicht. Unerhört war, dass man einen solchen Fall bestaunen durfte. Man kannte die zahlreichen Heiligenviten, etwa der heiligen Wilgefortis, der sogar ein Bart gewachsen war, oder man hatte von solchen «Hosenteufeln» aus den weitverbreiteten Flugschriften gehört. Zahlreiche Geschichten und Lieder kursierten hierüber im Volk.
    Allein in den Niederlanden sind zwischen 1550 und 1839 über 120   Frauen in Männerkleidern historisch belegt, viele davon aus Deutschland. Fast kann man schon von einer Art Tradition sprechen: die Verkleidung als bekanntes Mittel, schwierigen Lebenslagen zu entkommen. Meist waren es junge Frauen, die zerrütteten Elternhäusern entstammten, Waisen oder Halbwaisen waren. Manche verdingten sich sogar als Soldaten oder Seeleute, es gab die legendäre Piratin Mary Read oder Maria van Antwerpen, die ihre Verkleidung als Soldat dreizehn Jahre lang aufrechtzuerhalten vermochte. Anderen wiederum erschien eine Heirat als letzte Konsequenz, um Argwohn zu vermeiden. Erleichtert wurde dieses Verkleidungsspiel durch die zunehmende Prüderie jener Zeit: Nacktheit und erotische Offenherzigkeit waren zunehmend tabuisiert. Dennoch brauchte es starke Nerven, Schlauheit und Schauspieltalent  
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