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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin
Autoren: Astrid Fritz
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schrie Moritz auf. «Du darfst nicht gehen, Eva! Jetzt, woich dich gefunden habe! Wie kann Gott das zulassen? Warum hat er mir nicht geholfen, dich hier rauszuholen?»
    Dann erzählte er stockend und immer wieder von Schluchzern unterbrochen, wie er beim Rat der Stadt um Gnade gefleht hatte. Ein gutes Dutzend Edelleute habe er beisammengehabt, alle hätten sie Fürsprache eingelegt, selbst der Reiter, dem sich Eva so frech in den Weg gestellt hatte.
    «Und dann – über den alten Brauch des Losheiratens, über meinen Willen, dich zu heiraten, hat dieser elende Bürgermeister nur dreckig gelacht! Ich bin schuld, ich allein bin schuld! Warum nur habe ich dich damals im Jagdhaus alleingelassen?»
    Sein ganzer Körper bebte, als er jetzt seinen Kopf in Evas Schoß legte.
    Eva wartete, bis er sich beruhigt hatte, dann sagte sie: «Gott hat gefügt, dass wir heute zusammen sind. Einen größeren Wunsch hätte er mir nicht erfüllen können.»
    Ernst betrachtete Josefina ihre jüngere Schwester. «Vertraust du ganz auf Gott?»
    «Ja.»
    «Dann kann dir auch nichts zustoßen.»
    «Das Einzige, was mich manchmal zweifeln lässt», sagte Eva nach einem Augenblick des Schweigens, «ist, dass ich so wenig Gutes getan habe. Dass mein Leben alles andre als gottgefällig war.»
    «So darfst du nicht denken, Eva! Gott sieht hinter die Dinge. Wie viele Menschen tun wohlgefällige Werke nur aus Selbstsucht, zum Heil der eigenen Seele, und nicht um der Caritas willen. Du aber hast so vieles aus wirklicher Nächstenliebe getan – für mich, aber vor allem für unseren kleinen Bruder. Für ihn hast du auf so vieles verzichtet. Zweifle nicht mehr und vertraue auf die Gnade Gottes. Versprichst du mir das?»
    «Ich versprech es dir. Und ich weiß auch, dass ihr alle für mich beten werdet.»
    Dann bat sie Josefina, zu erzählen, wie es ihr in den letzten Jahren ergangen war. In klaren, einfachen Worten berichtete die Schwester, wie sie hochschwanger durch die Lande geirrt war, erzählte ohne jede Bitterkeit von ihren Entbehrungen und Enttäuschungen, ihren Ängsten und Nöten und der schrecklichen Einsamkeit, schließlich von der Geburt ihres Sohnes und dessen Tod. Erst bei den frommen Schwestern der Beginen habe sie erfahren, was ein erfülltes Leben ausmache: einen festen Halt zu haben in der Gemeinschaft und darin die Freiheit, zu handeln und zu helfen.
    Danach war die Reihe an Eva, zu sprechen. Während ihre Hände in denen ihrer Schwester ruhten, ihr Kopf an Moritz’ Schulter, erinnerte sie sich plötzlich an so viele helle, glückliche Stunden, an so viele Menschen, die ihr geholfen oder ihr in Liebe und Fürsorge begegnet waren, dass es sie selbst erstaunte. War ihr Leben nicht auch wunderbar gewesen?
    Bis zum Abendläuten ließ der alte Wärter sie beisammen, ohne zu stören. Dann nahmen sie Abschied. Eva löste den Knoten ihres Lederbandes und legte Moritz den Talisman um den Hals.
    «Du sollst ihn tragen. Er ist von Niklas und hat mir immer Kraft gegeben. Jetzt brauch ich ihn nicht mehr.»
    Moritz’ Lippen zitterten. «Ich will mit dir in den Tod gehen.»
    «Nein, Moritz, niemals! Du musst für mich beten, verstehst du nicht? Außerdem: Nun hab ich alle Zeit der Welt, um auf dich zu warten.»
     
    Am Tag nach Sankt Nikolaus, Anno Domini 1565, wurde Eva am frühen Morgen aus ihrem Gefängnis hinausgeführt.Schwarz bewölkt war der Himmel, in der Ferne zuckten Blitze. Aus schwarzem Loden waren auch Evas Hose und Wams, die ihr die Nördlinger Schneider eigens für diesen Tag und auf eigene Rechnung gefertigt hatten.
    Von der Rathaustreppe herab verlas man nach altem Brauch öffentlich das Urteil, bevor der Stab über der Delinquentin brechen sollte. In das leise Gemurmel der Menschenmenge, die sich auf dem Markt drängte, in deren neugierige, aber auch mitleidsvolle Blicke hinein schleuderte der Kanzleischreiber mit seiner schneidenden Stimme die Worte:
    «Auf beschehene Inquisition und auf die hier verlesenen Fälle von Diebstahl und Raub, ferner von vielfältig Falsch, Betrug und Misshandlung, worin keine Besserung oder Nachlassung bei der Malefikantin zu verhoffen ist, darauf ist heute durch den Ehrsamen und Weisen Rat dieser Stadt Nördlingen nach der Kaiserlichen und Heiligen Reichs Halsgerichtsordnung als Recht erkannt, dass erwähnte Eva Barbiererin derenthalben durch den Nachrichter vom Leben zum Tode gestraft und gerichtet werden soll   …»
    «Indessen» – eine kunstvolle Pause ließ die Zuhörer augenblicklich
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