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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin
Autoren: Astrid Fritz
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die Verstocktheit solcher Übeltäter aufzubrechen. Je jämmerlicher sie winseln, desto näher kommen wir der Wahrheit. Und Ihr wisst genau wie ich, dass nur mit einem allumfassenden Geständnis dem Satan die Seele entrissen werden kann.»
    «Das Gegenteil ist wahr! Der Schmerz der Folter bricht noch jeden freien Willen des Menschen, selbst meinen und Euren! Eva Barbiererin mag betrogen und gestohlen haben, aber wie heißt es so wahr? Not bricht das Gesetz. Dem Mädchen wäre mehr geholfen, gäbe man ihr Gelegenheit, wieder zu einem sinnvollen und gottgefälligen Leben zurückzufinden.»
    Mit gesenktem Kopf und wie aus weiter Ferne hörte Eva die beiden Männer streiten, bis Vogelmann, in seiner Eigenschaft als Einunger, dem ein Ende machte: Man solle es hierbei belassen und sie nach angemessener Erholungsfrist nochmals befragen.
    Als Mattis, der jüngere der beiden Gefängniswärter, sie grob beim Arm packte, um sie wegzuführen, hob sie den Kopf:
    «Ich flehe Euch an: Schickt jemanden ins Schloss zu Oettingen und fragt nach Junker Moritz von Ährenfels. Ich bitte Euch!»
    Unter dem Gelächter der Männer wurde sie hinausgeführt.

46
    Auch drei Wochen später bestätigte Eva ihre letzte Aussage, und so sah man von einer weiteren Tortur ab, beschloss aber, noch einmal den Stadtboten Wilhelm Kratzer auszuschicken. Rund um Nördlingen und Regensburg solle er nachforschen, wo überall die Delinquentin ihre Übeltaten begangen habe, dann wolle man das Urteil fällen.
    Seitdem man Eva der Straßenräuberei überführt zu haben glaubte, worauf für Weibspersonen der Tod durch Ertränken stand, erfuhr sie in ihrer Haft eine Reihe von Erleichterungen. Tagsüber wurde eine Tranlampe unter die Decke gehängt, samstags durfte sie sich waschen, und abends gab es einen Krug schweren, süßen Rotwein, den sie sich mit Michel teilte.
    «Es ist eine Schande, dieser Prozess! Gewiss hast du viele dumme Sachen getan, aber ein so junges Ding wie du hätte Gnade verdient. Glaub mir, ich bet jeden Tag für dich, dass die Herren Richter sich nochmal besinnen.»
    «Ach, Michel, ich hab keine Angst mehr vor dem Tod. Nur vor dem Sterben ein bisserl. Man mag mich endlich richtenund mir das Leben nehmen – ich begehr nicht länger zu leben. Nicht mal ein Zuhause hab ich, es würd alles nur immer so weitergehen. Und dazu hab ich keine Kraft mehr.»
    Zu diesem Zeitpunkt erwartete Eva längst keine Wunder mehr. Anfangs hatte sie noch zu jeder Stunde gebetet, hatte kreuz und quer sämtliche Gebete aus ihrer Kindheit aufgesagt, das Ave-Maria, das Glaubensbekenntnis, das deutsche Vaterunser nach Doctor Luther, das Paternoster auf Latein. Zu Gott und Jesus Christus hatte sie gebetet, zu Maria, den Engeln und allen Heiligen, und immer wieder zu Sankt Leonhard, dem Schutzpatron der Gefangenen, der manch einen durch ein Gnadenwunder von den Ketten befreit hatte. Hatte gehofft auf solch ein Wunder: dass eines Morgens der Riegel aufspringen und sich die Tür in die Freiheit öffnen, ja selbst, dass Gott ein Erdbeben oder eine Flut schicken würde, die sie aus ihrem Gefängnis befreite. Nicht zuletzt aber hatte sie auf Moritz gehofft, darauf, dass irgendeiner der Ratsherren doch nach ihm geschickt hatte und er mit einer Schar Reiter hier eintreffen würde, um sie zu holen. Was für ein kindischer Irrglaube!
    Irgendwann dann war der letzte Funken Hoffnung in ihr erloschen, und das Warten in ihrem elenden Loch wurde zu einer größeren Qual, als es die Tortur gewesen war. Wie lange schon hatte sie keine Amsel mehr in den Bäumen zwitschern gehört, wie lange keinen Sonnenstrahl, keinen Windhauch mehr gespürt? Dass es Herbst geworden war und es auf den Winter zuging, verriet ihr nur die Kälte, die sie nachts kaum mehr schlafen ließ, und dass es einen Wechsel zwischen Tag und Nacht gab, nur die kleine Lampe an der Decke.
    Sie begann, sich mehr und mehr mit dem Tod zu beschäftigen. Würde sie, wenn sie beim Jüngsten Gericht vor Gott trat, Gnade erfahren, nach allem, was sie getan hatte? Oder würden ihre Sünden so schwer wiegen, dass ihr der Weg in Gottes ewigesReich auf immer verwehrt blieb? Oder behielten doch die Lutheraner recht, wenn sie sagten, Gottes Gnade gelte allen Gläubigen, ganz gleich, was sie sich auf Erden hatten zuschulden kommen lassen? Sie selbst jedenfalls bereute ihre Fehler zutiefst und ersehnte nichts mehr, als einzugehen in jenes Reich des Lichts, als endlich befreit zu sein von diesem Leib, der ihr auf unerklärliche Weise so
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