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Die Vagabundin

Die Vagabundin

Titel: Die Vagabundin
Autoren: Astrid Fritz
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schwieg.
    «Aufziehen!»
    Meister Endris band ihr die Hände auf den Rücken und zerrte sie unter einen Holzrahmen mit Seilwinde, die durch ein mächtiges Rad bewegt wurde. Dort hakte er ihre gebundenen Hände am Seilaufzug fest und stellte sich neben das Rad. Indem er zu drehen begann, hoben sich ihre Handgelenke durch den Zug des Seils langsam in die Höhe, immer weiter über den Kopf, bis sich ihre Füße vom Boden lösten. Ein Feuerwerk von Schmerzen durchglühte ihren Körper, als ihr die Arme aus den Schultergelenken zu springen drohten, und sie brüllte wie ein Tier.
    «Herunter!»
    Das Rad drehte sich quietschend zurück, Eva kam wieder zu Boden. Ihr Atem ging stoßweise, und mühsam brachte sie hervor: «Hab jedem nur ein kleines Ding gestohlen, wollt keinem zu sehr schaden. Ich brauchte doch die Kleider, um als Schneiderknecht zu gehen. Ich war auf der Flucht, weil dieser Ritter mich entführt hatte, dieser böse Alte. Hatte mich in sein Hurenhaus bringen wollen.»
    Erschöpft verstummte sie. Ihr war, als würde sie in einem dichten, schwarzen Nebel stehen.
    «Entführung, Hurenhaus: Du hättest dir auf Jahrmärkten dein Brot verdienen sollen mit deinen Schauergeschichten», spottete Heidenreich. «Aber erzähl nur weiter, Eva Barbiererin.»
    Die Erinnerungen schlugen plötzlich wie sturmgepeitschte Wellen über ihr zusammen. «Von diesem Mordbrenner habich nur gehört – von dem, der eine Feuerspur gelegt hat vom Elsass bis ins Schwäbische», stammelte sie. «Bin ihm selber nie begegnet, das schwör ich. Tät auch niemals helfen, Feuer einzulegen. Und von diesem Gartknecht, diesem Meuchelmörder, wollt ich nicht einen Heller fürs Schmierestehen, ich wollt nichts als fliehen, aber ganz plötzlich waren sie tot, die Jungfer und der Knabe. Mausetot. Genau wie die vier Fuhrleute auf der Landstraße. Immer sind welche tot, wenn ich komme. Das ist, wie wenn Gott mich strafen wollte. Dabei wollt ich immer nur meinen kleinen Bruder schützen, den Niklas   …»
    «Halt!», unterbrach sie Heidenreich. «Was faselst du da von Fuhrleuten? Ist da nicht im Sommer ein Fuhrmann von einer Handvoll Straßenräuber überfallen worden, hier bei Nördlingen? Und war nicht sogar ein Weib dabei?» Er pfiff durch die Zähne. «Jetzt bist du uns in die Falle gegangen!»
    «Nein, nein!» Eva schüttelte heftig den Kopf. «Es waren vier Händler, nicht einer. Und die Geldtasche hab ich nur genommen, weil die doch schon tot waren. Die Räuber waren da längst weg.»
    «Aufziehen, Meister Endris – drei Vaterunser lang!»
    Ungleich schneller und höher als beim ersten Mal riss die Seilwinde sie in die Luft. Sie hörte es krachen in ihren verdrehten Gelenken, dann erst brach der Schmerz über sie herein. Er war so gewaltig, dass es ihr schon beim ersten Brüllen die Luft nahm. Ihre Beine strampelten und zuckten, ihr Kehlkopf hüpfte vor und zurück, bis sie endlich zwei, drei Worte herauspressen konnte:
    «Lasst mich – ich gesteh alles!»
    Sie krachte zu Boden, mit verrenkten Gliedern. Der Scharfrichter half ihr auf die Beine und drehte ihr dabei mit erfahrenem Griff die Arme zurück in die Schulterpfannen.
    Die Männer mussten sich über die Tischplatte beugen, umihre heiseren Worte überhaupt zu verstehen. Ja, sie habe drei Wegelagerer getroffen, in einer verlassenen Bauernkate. Seltsame Namen hätten die gehabt, wie aus einem Kartenspiel: Eichel und Schelle und so. Man habe ihr einen Teil der Beute versprochen, wenn sie den Fuhrmann zum Halten bringen würde, aber der Mann habe sich gewehrt und sie am Ende alle in die Flucht geschlagen. Sie aber habe die Geldkatze des Fuhrmanns an sich reißen können und damit eine Schiffspassage nach Regensburg bezahlt. Das alles sei nicht weit von Regensburg geschehen.
    «Mit Verlaub, Ihr Herren», ergriff Flanser das Wort, «der uns bekannte Überfall war auf der Nürnberger Straße nicht weit von Nördlingen und nicht bei Regensburg.»
    «Sie will uns in die Irre führen», unterbrach ihn Heidenreich. «Ich schlage vor: aufziehen mit Gewichten.»
    «Nein!» Evas Stimme war nur noch ein Krächzen. «Was ich gesagt hab, ist wahr. Wenn ihr mir nur keine Schmerzen mehr zufügt – lieber will ich sterben.»
    «Da habt Ihr’s!» Flansers Stimme klang ärgerlich. «Alles würde das Mädchen zugeben, aus Angst vor der Tortur!»
    «Ach – seh ich da etwa falsches Mitleid in Euren Augen? Habt Ihr heut Euren schwächlichen Tag, Flanser? Was für ein Affengeschwätz! Allein die Tortur vermag es,
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