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Die unsichtbare Pyramide

Titel: Die unsichtbare Pyramide
Autoren: Ralf Isau
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ab.
    Obwohl Francisco allen Grund gehabt hätte, von einer glücklichen Wendung zu sprechen, mochte er doch nicht mit ansehen, wie der Mann, den er mehr als zwei Jahre lang als seinen großen Bruder angesehen hatte, langsam ertrank. Deshalb rief er dem Riesen auf Altägyptisch zu: »Bitte hol ihn raus!«
    Der Hüne packte Vicente am Gürtel, hob ihn hoch, trug ihn zur Insel und ließ ihn neben dem Sarkophag wie einen nassen Sack fallen.
    »Danke«, sagte Francisco.
    »Halt still«, forderte ihn sein Retter auf. Er hatte sich breitbeinig am Fußende des Sarkophags aufgebaut und holte mit seinem enormen Säbel aus.
    Francisco kniff die Augen zu und hörte nur ein lautes Knacken, dann waren seine Fußfesseln durchtrennt. Die gleiche Prozedur wiederholte sich an seinen beiden Handgelenken. Nun erst wagte er den Riesen nach seinem Namen zu fragen.
    »Ich bin Hobnaj von Meroe, der Leibwächter des Pharaos von Baqat«, antwortete der.
    »Des Pharaos?«
    »Topra.«
    »Er ist…?«
    »Ein Nubier, der seine Wünsche manchmal für die Wirklichkeit hält«, mischte sich Topra ein. Die Wolke schwebte um den Sarkophag herum und Francisco sah wieder die Hand seines Drillings aus dem Blau herausragen; die Fingerspitzen winkten fordernd. »Komm bitte zurück, Hobnaj!«
    Nun meldete sich auch Trevir wieder zu Wort, der die Rettungsaktion mit stillem Bangen verfolgt hatte. »Hier versinkt gleich alles im Chaos. Francisco, du musst uns sagen, wie die Worte der Inschrift lauten!«
    Die Inschrift! Francisco hätte sie fast vergessen. Er ließ sich von dem Riesen auf die Beine helfen.
    »Bitte, Hobnaj!«, flehte Topra. »Ich weiß nicht, wie lange ich den Übergang noch offen halten kann.«
    »Schaffst du es alleine?«, fragte der Nubier, während er seinen Säbel in die Scheide zurücksteckte.
    Francisco nickte. »Wird schon gehen.« Er versuchte einen ersten Schritt, aber da erschütterte ein weiteres Beben die Kammer und seine Beine gaben unter ihm nach. Zum Glück fing ihn Hobnaj auf.
    »So wird das nichts«, brummte der Riese und rief über die Schulter zur Wolke: »Erst muss ich euren Bruder zu den Hieroglyphen bringen.«
    Er sprang mit seiner Last so leichtfüßig ins Wasser, als trüge er nur eine große Stoffpuppe. Schnell hatte er das Bassin durchquert und auf der anderen Seite wieder verlassen. Vor der Inschrift drehte er sich so, dass Francisco die Hieroglyphen gut sehen konnte, und sagte aufmunternd: »Lies rasch vor, mein Junge. Ich helfe dir.«
    Als Francisco erneut die Inschrift entzifferte, fiel es ihm wesentlich leichter als beim ersten Mal. Weil die Hieroglyphen nur Konsonanten repräsentierten, also grundsätzlich ohne Selbstlaute auskamen, musste Hobnaj die Aussprache mancher Worte korrigieren, aber gemeinsam hatten sie den Text rasch enträtselt und Francisco konnte für Trevir die englische Übersetzung vorlesen.
     
    »Imhotep, Oberster Getreideschreiber des göttlichen Pharao Djoser, Hohepriester des Re, Vorsteher der Ibis-Priesterschaft und der Gefolgschaft des Horus, Empfänger des göttlichen Buches der Weisheiten, Oberster Königlicher Schädelbohrer…«
     
    »Können wir das nicht überspringen?«, unterbrach Trevir aufgeregt.
    »Ja, entschuldige«, sagte Francisco und suchte schon nach der Stelle, wo der mit so vielen Titeln ausstaffierte Hohepriester endlich zur Sache kam.
     
    »Drei sind der Flüche für den Toren und drei der Segenssprüche für den Weisen:
    Verflucht sei jeder, der die Himmel verhöhnt. Fluch über den, der einen Brunnen vergiftet oder die Wasser des Nils verdirbt. Doch alle Flüche sollen den Mann treffen, der seine Macht zu mehren sucht, indem er das blaue Licht des Himmels einsperrt, um der Welten Lauf zu unterbrechen.
    Gesegnet wird sein, wer sich in die göttliche Ordnung fügt. Segen auch dem, der seinen Nächsten achtet und ihn liebt. Doch aller Segen wird auf dem Mann liegen, der die Fesseln sprengt, die der Welten Lauf unterbrechen.«
     
    »Das ist alles?«, fragte Trevir entsetzt, nachdem Francisco verstummt war. »Die Kammer des Wissens ist voll von diesem Zeugs. Vielleicht gibt es irgendwo noch einen Kommentar, der diese Flüche und Segnungen erläutert, aber ich fürchte…«
    »Wir sind verloren.«
    Francisco brummte der Schädel, aber er wollte sich nicht in das scheinbar Unabwendbare fügen. Vicente hatte ihm einmal etwas über die Zerbrechlichkeit des Universums erzählt: Nichts sei, wie es scheine; nichts bleibe, wie es sei – alles ändere sich… Ein stechender
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