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Die unsicherste aller Tageszeiten

Die unsicherste aller Tageszeiten

Titel: Die unsicherste aller Tageszeiten
Autoren: Thomas Pregel
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Mönche in sexuellen Dingen alles andere als zurückhaltend.«
    Klaus schenkte mir ein müdes Grinsen für meinen Witz.
    »Trotzdem«, fuhr er nach einem Moment gemeinsamen Schweigens fort, »die Zeiten hatten sich entschieden liberalisiert, nur ich konnte eben das Misstrauische und Vorsichtige, dass ich mir in den Jahren davor geradezu selbst eingeimpft hatte, nicht mehr abstreifen. Die neue Freiheit konnte ich nicht ohne die alte Unfreiheit sehen, immer hatte ich die Warnung im Ohr, es könnte doch alles nur eine Falle sein.«
    »Und in gewisser Weise hat dich das dann später davor bewahrt, auch ein Opfer von Aids zu werden?« Ich bemühte mich, der Sache wenigstens irgendetwas Positives abzugewinnen.
    Er sah mich nur fragend an. »Wieso?«
    »Na ja, weil du so nicht so viel rumgevögelt hast und dadurch die Gefahr, sich zu infizieren, wesentlicher geringer war.«
    »In den ersten Jahren von AIDS wusste keiner, wie man sich damit infiziert. Es gab ja nur Gerüchte und Vorurteile, aber keine konkreten Informationen. Jeder hätte sich infizieren können, ein einziges Mal hätte ja schon ausgereicht. Ich hätte mich bei einer einzigen Gelegenheit infizieren können.«
    »’tschuldigung.«
    »Schon gut.« Klaus schüttelte einmal kurz entschlossen den Kopf, als könnte das die schwarzen Erinnerungen an jene schreckliche Zeit damals verscheuchen. »Außerdem lernte ich im Sommer 1981 Georg kennen und verliebte mich in ihn. Meine erste große Liebe – und da war ich schon über dreißig. Rückblickend glaube ich, rettete mir beides, diese Beziehung auf der einen und meine generelle sexuelle Zurückhaltung in jenen Tagen auf der anderen Seite, das Leben.« Er schwieg kurz, ganz traurig werdend. »Nur sein Leben rettete es nicht.«
    »Aber dann hattet ihr keine monogame Beziehung, sondern eine offene, oder? Ich meine, wenn er es hatte, du aber nicht?«
    Doch Klaus brauste plötzlich wutentbrannt auf. »Das ist doch nicht wichtig!«, schrie er beinahe. »Darum geht es nicht! Er kann sich doch auch schon viel, viel früher mit diesem verdammten Virus angesteckt haben. Niemand weiß doch bis heute, wann genau die Krankheit wirklich aufgekommen ist, gerade weil sie diese unter Umständen lange Inkubationszeit hat.«
    Ich glotzte meinen Freund und Liebhaber völlig erschrocken an, so aufgebracht hatte ich ihn noch nie erlebt. Für einen Moment erinnerte er mich sogar an meinen Vater, wenn der Ärger über irgendeine Nichtigkeit in einen Anfall seines Jähzorns übergeht. Ich jedenfalls verhielt mich automatisch wie bei solchen Gelegenheiten immer: Ich duckte mich weg und sah zu, aus der Schusslinie zu kommen. Wahrscheinlich hörte ich deshalb die nächsten Minuten nur ungenügend hin, obwohl Klaus ja gar nicht auf mich zielte.
    Georg wurde 1985 positiv auf HIV getestet und starb zwei Jahre später an Aids. Oder wie man so schön sagt: an den Folgen von. Toxoplasmose oder irgendwas in der Art. Was genau ist auch unwichtig, bei Aids-Toten habe ich unweigerlichen immer gleich Bilder von bis aufs Skelett abgemagerten Männern vor Augen, deren Haut übersät ist mit den schwärzlichvioletten Flecken des Kaposi-Sarkoms. Als wären diese Männer nicht nur im KZ gewesen, sondern hätten auch noch das Pech gehabt, in Dr. Mengeles Folterlabor geraten zu sein. Mit (Stand-)Bildern von Gewalt, allen voran diejenigen, die ich selber erschaffe, habe ich keinerlei Schwierigkeiten, die kann ich mir ansehen und ihren ästhetischen Wert genießen, aber Bilder körperlichen Verfalls durch Krankheit ertrage ich einfach nicht. Dabei war Krankheit zeit meines Lebens immer nur eine abstrakte Vorstellung, ich war nie ernsthaft krank, nicht einmal Geschlechtskrankheiten habe ich mir jemals eingehandelt, obwohl ich so viel rumgevögelt habe. Okay, abgesehen von einem einmaligen Filzlausbefall kurz nach meinem Umzug nach Berlin.
    Ich hörte Klaus, der meine geistige Abwesenheit kaum bemerkt zu haben schien, erst wieder richtig zu, als er die gute Nachricht verkündete, nicht infiziert zu sein. Was mehr als Glück, was ein reines Wunder gewesen sein musste, denn:
    »Bis bestimmt Ende 84 hatten wir immer nur ungeschützten Geschlechtsverkehr. Erst danach, als es für Georg vermutlich längst zu spät war und eigentlich auch für mich längst zu spät hätte sein müssen, benutzten wir Kondome. Obwohl: Wir schliefen da kaum noch miteinander, was um uns herum passierte, machte uns zu große Angst. Und wir ließen uns testen, gemeinsam, und warteten dann
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