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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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ein toter, bankrotter Vater und eine Standuhr mit Süßigkeiten darin. Meine unanständige Mutter erwähne ich hier nicht.
    »Gib mir die Mütze«, sagte ich.
    Noch größere Verwirrung.
    »Was willst du damit?«
    »Was man normalerweise mit Mützen macht. Sie auf den Kopf setzen.«
    Alfred zögerte, nahm die Mütze ab und gab sie mir mit einer leichten Verneigung. Ich setzte sie mir wie gesagt auf den Kopf. Die Mütze war ziemlich groß und rutschte mir in die Stirn. Alfred hatte einen größeren Kopf als ich. Er musste lächeln. Er wusste nicht, worüber er lächelte. Ich lächelte nicht und nahm seinen Platz hinter dem Lenkrad ein.
    »Sie sind gefeuert«, sagte ich.
    »Gefeuert? Wie meinen Sie das?«
    »Genau so, wie ich gesagt habe.«
    Er rüttelte am Wagengriff und packte mich beim Nacken.
    »Das ist nicht dein Ernst!«
    Mal sagte er du und dann sagte er Sie. Es war wohl die Mütze, die ihn verwirrte.
    »Doch, das ist es.«
    »Aber du kannst mich doch hier nicht stehen lassen! Mitten auf der Landstraße!«
    »Nein«, erwiderte ich. »Hier können Sie natürlich nicht stehen bleiben. Sie können aber auf Ihren Füßen zurückgehen. Leben Sie wohl.«
    »Der war nicht gut«, sagte Alfred. »Der war verdammt noch mal wirklich nicht gut, das muss ich sagen.«
    »Was?«
    »Dieser Scherz. Absolut nicht gut. Absolut nicht.«
    Ich fand die richtigen Pedale.
    »Du hast recht. Das ist kein Scherz.«
    Endlich brachte ich den Wagen in Bewegung.
    Alfred kam mir hinterhergelaufen.
    »Dein Vater, Bernhard Hval, dein Vater war ein Mann von, ein Mann von …«
    Das musste ich mir nicht anhören. Ich gab Gas. Alfred Melingen versuchte mich oder den ganzen Wagen aufzuhalten, das war lächerlich, und zum Schluss musste er aufgeben.
    »Das wirst du noch bereuen!«, rief er.
    Er drohte mir mit der Faust und schrie mir hinterher.
    Doch ich fuhr weiter, Richtung Drammen, und Notto Fipps sonderbare Aussage wollte mir nicht aus dem Kopf gehen, und ich wünschte mir es auch gar nicht anders: Wenn ich gehe, denke ich weniger. Einen Moment lang überlegte ich, an einem Waldstück anzuhalten und weiter zu Fuß zu gehen, aber ich war nicht so stark wie Notto Fipp. Deshalb war ich ja auch nur der Zweitverrückteste. Außerdem war ich auf dem Weg zu meiner Verlobten, Sigrid Juell, die ich im selben Herbst heiraten sollte, eine Frau wie aus Holz geschnitzt, aus schönem, zähem Holz, buchstäblich gesprochen. Sie war eine gute Partie, wie es damals hieß, was man von mir nicht behaupten konnte, aber ich war trotz allem der Beste meines Jahrgangs. Sigrid Juell war 23 Jahre alt und trug ihre Jahresringe wie Schmuckstücke, solange es währte. Ihre gesamte Familie war aus Holz geschnitzt. Sie waren Wald und Fluss und Sägewerk, und so war auch ihr Temperament. Sie war Wasserfall und Wind. Sie war die Kreissäge. Sie war der Hobel, und ich war der Span. Ich war so verliebt in sie, dass ich sogar im Stande war zu hassen. Und war es nicht gerade mein Unheil, dem sie verfallen war? Gefiel es ihr etwa nicht, wenn ich ihr in dem Haus mit den hohen Decken während des Essens meinen Mund ans Ohr legte, schluckte und schluckte und sagte: Fotze, Fotze, danke fürs Essen und Prost? Dann wurde sie ein ganzes Sägewerk, würde ich sagen, zumindest anfangs. Wir waren für die Leidenschaft geschaffen. Wir bekamen keine Kinder.

ALLES MÖGLICHE
    Wir schreiben das Jahr 1980. Der Winter war ungewöhnlich kalt. Ich fror von Januar bis März jämmerlich. Jetzt ist es April geworden, es tropft von den Regenrinnen, es schmilzt und rieselt überall, und in vier Monaten werde ich also sterben. Heiliger Strohsack! Ich betreibe immer noch meine äußerst bescheidene Praxis hier am Skovveien, in derselben Wohnung, die mir blieb, nachdem alles drunter und drüber ging, und in der ich auch wohne. Es ist lange her, dass jemand hierherkam. Vielleicht ist meine Approbation ja abgelaufen. Eine Zeitlang tauchten einige lichtscheue Gesellen auf, die Rezepte für das ein oder andere haben wollten, wenn alle Reisebüros der Stadt geschlossen hatten. Ich gab ihnen gern eine Tour in den Süden. Es geschah ungefähr auf die gleiche Art und Weise, wie es mit den Waren aus dem Lebensmittelladen läuft, nur in umgekehrter Reihenfolge: gelbe, eklige Finger schoben einen oder zwei Scheine durch den Briefschlitz, ich schob ein Rezept beispielsweise für hundert Atarax oder Kolamin hindurch. Die schwarzen Drops behielt ich übrigens für mich zurück. Dann wieder taten mir diese verwöhnten und
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