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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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zurückzugehen?«
    »Nein.«
    »Und Sie haben auch keine Familie oder Freunde in Evje, die auf Sie warten?«
    »Nicht dass ich wüsste.«
    Das sagte er einfach so. So war es. Er verkehrte im Frachtverkehr zwischen Oslo und Evje und hatte an keinem dieser Orte etwas zu erledigen. Aber hatte ich nicht gerade den gleichen Gedanken gehabt, einfach nur zu fahren und umzukehren, umzukehren und zu fahren? Er war nach meinem Geschmack.
    »Darf ich im Vorbeifahren nach dem Namen fragen?«, fragte ich.
    »Notto Fipp.«
    Ich reichte die Hand über die Wagentür.
    »Bernhard Hval.«
    Notto Fipp ergriff meine Hand nicht, dieses Mal nicht, aus ganz natürlichen Gründen, das hätte ihn aus dem Takt gebracht. Man schüttelt einem Geher unterwegs nicht die Hand. Außerdem schien ihn der türkische Tabak zu stören, deshalb warf ich die Zigarette weg, so weit ich konnte, mit der Gefahr, Buskerud in Brand zu stecken. Wir folgten einander noch einige Meter. Notto Fipp hielt ein strammes Tempo, ja, es schien, als hätte er all seine mageren Glieder ein für alle Mal genau auf dieses Tempo eingestellt. Er war ein Studium wert. Den Torso benutzte er einzig und allein als Aufhängung für die Arme, als Behältnis für das Herz, und um den Kopf aufrecht halten zu können. Erst im Hüftbereich schien Notto Fipp eigentlich anzufangen. Von den Schenkelknochen abwärts bis zum letzten Teil der unteren Extremitäten, also der Fußsohle, konnte sich niemand mit ihm messen, übrigens auch nur wenige in den anderen Regionen, aber es war in erster Linie das letzte Stück bis zur Erde, das ihn auszeichnete, das war seine Signatur. Er unterschrieb die Erde, auf der er ging, mit jedem einzelnen Schritt, der ihn seinem Ziel näher brachte, an dem er einfach umkehren wollte, sobald er angekommen war.
    »Darf ich fragen, warum?«, fragte ich.
    »Warum was?«
    »Warum Sie so gehen?«
    »Wenn ich gehe, denke ich weniger«, antwortete Notto Fipp.
    Diese Antwort machte Eindruck. Ich kann es nicht anders sagen, sie machte Eindruck. Wenn ich gehe, denke ich weniger. Wie oft habe ich diese sechs Worte seitdem nicht wiederholt? Oft. Ich kann es gar nicht zählen. Es war an der Zeit, Notto Fipp in Frieden gehen zu lassen. Ich gab Alfred ein Zeichen, dass er schneller fahren durfte, während ich mich umdrehte und diese seltsame Gestalt betrachtete, in Strohhut, Wanderschuhen und mit dem schwarzen Regenschirm, wie er im Licht und dem Staub, den wir hinter uns ließen, verschwand.
    »Volltrottel«, sagte Alfred.
    Ich ließ ihn noch ein Stück fahren, und Alfred fuhr, was die Riemen und das Zeug hielt. Er wollte das Versäumte wieder aufholen, die Zeit, die wir mit diesem Volltrottel versäumt hatten.
    »Was hast du gesagt?«
    Alfred musste schreien.
    »Volltrottel! Der war doch nicht ganz dicht.«
    »Meinst du?«
    »Das sah man ihm doch an. Der gehört eingesperrt.«
    Ich beugte mich vor.
    »Kannst du mal anhalten?«, bat ich.
    »Schon wieder?«
    »Ja, halt an. Genau hier.«
    Alfred fuhr an den Straßenrand, hielt dort an und hatte die Situation natürlich vollkommen falsch verstanden.
    »Wenn es sehr dringend ist, kannst du unten in die Büsche gehen. Ich werde aufpassen. Aber ich möchte dich daran erinnern, dass wir in zwanzig Minuten bei deiner Verlobten sind. Wenn du es also bis dahin noch aushalten kannst …«
    Ich unterbrach ihn.
    »Ich will weder pinkeln noch scheißen«, sagte ich.
    Alfred schaute zu Boden, peinlich berührt.
    »Dann verstehe ich es nicht ganz.«
    »Wie hast du den Mann genannt, dem wir gerade begegnet sind? Einen Volltrottel?«
    »Das können ja wohl alle sehen, dass er einer ist.«
    »Steig aus dem Wagen«, sagte ich.
    Alfred blieb sitzen. Er glaubte wohl, dass auch das ein Scherz war.
    »Steig aus dem Auto«, wiederholte ich.
    »Ich verstehe nicht.«
    »Ich dulde es nicht, dass du auf diese Art und Weise über Menschen sprichst.«
    Alfred drehte sich zu mir um.
    »Meinst du diesen Idioten mit dem Strohhut, an dem wir gerade vorbeigefahren sind?«
    »Jetzt haben Sie es wieder gesagt. Raus aus dem Auto. Und zwar sofort.«
    »Sie? Sind wir jetzt nicht mehr per Du?«
    »Wie oft muss ich es noch sagen? Raus!«
    Alfred Melingen öffnete die Tür und stieg aus, strich die Uniform glatt, die er seit dem letzten Jahrhundert trug, und stand wie in Habacht da. Fast amüsierte es mich, diese Ehrerbietung, die er mir erweisen musste, einem Grünschnabel auf dem Rücksitz, dem alles in den Schoß gefallen war, das heißt ein Automobil mit Chauffeur,
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