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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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der Welt kann sie ausrupfen. Oh, du mein Dornenarsch! Lasst mich nicht bei diesen Widerwärtigkeiten verweilen. Sie sind nur als zweitklassig anzusehen. Außerdem habe ich nicht mehr lange zu leben, nur noch einen Sommer und den Anfang des Herbstes. Der Tag ist festgelegt. Das Mittel liegt in einem kleinen Etui auf dem Boden der Standuhr direkt hinter mir bereit: fünf schwarze Drops, ovale Opiumpillen, äußerst effektiv. Ich habe sie seit meiner Zeit in der Mäusehalle im Rikshospital aufbewahrt. Doch nicht einen Tag vorher, nicht einen Tag vor dem festgelegten Tag soll es geschehen! Disziplin ist unser Fach. Ich bezeichne uns als die Kantigen. Wir möchten gerne weich und umgänglich sein und sind stattdessen starrsinnig und nicht zur Vernunft zu bringen, wohl gemerkt, zur Vernunft der anderen. Wir möchten am liebsten in Ruhe gelassen werden, ziehen aber unablässig die Aufmerksamkeit auf uns. Wir wetzen uns an der Welt. Manches Mal wetzt sie sich auch an uns. Trotz allem gelingt es der Welt und uns nicht, ein dauerhaftes Verhältnis einzugehen. Wir können einen Abend lang tanzen. Doch dann ist Schluss. Wir sind ein zu ungleiches Paar. Wir halten uns am liebsten im Hintergrund. Doch wir sind dort, wo man uns am wenigsten vermutet. Und einer von uns stand ganz vorn, in all seiner Majestät und Größe: Sein Name war Notto Fipp. Er war der Verrückteste. Ich war nur der Zweitverrückteste. Ich war sein Arzt. Ich begegnete Notto Fipp, gesegnet sei er, zum ersten Mal im Monat August des Jahres 1929. Ursprünglich hieß er Notto Senum und stammte aus Evje im Setesdalen, wie ich später erfuhr. Dieser Spitzname oder Künstlername, als den ich ihn lieber bezeichne, hatte er aufgrund seines Spitzbarts gewählt, der nicht gerade eine Zier war, wie er da am spitzen Vorsprung seines Gesichts hing, nur ein paar lange, zottelige Strähnen, allerhöchstens vier Fransen, ein Spitzbart oder Fippsbart, wie er auch genannt wurde, daher der Name, Notto Fipp, und so wollte er es haben, sowohl den Bart als auch den Namen. Oh, wer würde es wagen, den Bart von Notto Fipp zu kritisieren! Sein Bart war eine Zier, eine Zier für uns alle! Da gibt es nichts daran zu deuteln! War ich etwa nicht neidisch, weil ich ohne Erfolg versuchte, einen ähnlichen Bart hervorzubringen? Ich hatte schließlich meine Medizinstudien, lasst mich in Klammern anmerken, dass ich der Beste meines Jahrgangs war, an der Universität in Oslo beendet. Mit anderen Worten war es nicht gerade wenig, was da von mir erwartet wurde, und nur ich wusste, dass ich keine dieser Erwartungen würde erfüllen können, eine Tatsache, auf die ich noch zurückkommen werde. Und noch einmal: du Dudelsack! Es gibt so viel, auf das ich zurückkommen werde, und so wenig, was vor mir liegt, dass ich fast aus den Augen verliere, wohin ich eigentlich will. Doch genau damals, an diesem strahlenden Sonntag im August 1929, da schob ich alle derartigen Gedanken beiseite, da war ich nämlich auf dem Weg zu meiner Verlobten in Drammen, ich und mein alter Fahrer, Alfred, in seiner abgewetzten, aber immer noch stattlichen Uniform, mit dazugehöriger Mütze, oder Kaskette, Handschuhen, Sonnenbrille und dem Ganzen und nicht zuletzt den Schuhen, einem großen und einem kleinen, sonst gab es nur ein Durcheinander mit den Pedalen, denn er hinkte nämlich. Alfred Melingen und der Roadster, wie Vater ihn nannte, den Wagen meine ich, er war das Einzige, was ich von meinem Vater geerbt hatte, abgesehen von einer Standuhr, die immer noch reibungslos läuft. Die Sonne hielt Hof über dem Land, und es war überhaupt ein besonderer Tag, eine besondere Zeit, sorglos und ewig erschien sie mir damals, und ich ließ sie mehr als gern so scheinen. War es mir jemals besser ergangen? Wohl kaum. Börsenkrach oder nicht, auf dieser oder der anderen Seite des Atlantiks, das war nicht meine Sache. Meine Familie hatte ihren Konkurs erlebt, und jetzt gab es nichts mehr zu verlieren. Hipp hipp! Ich saß auf dem Rücksitz, das Verdeck war heruntergelassen, ich rauchte eine milde türkische Zigarette im warmen Wind und genoss das Leben oder den Augenblick, ich genoss sowohl das Leben als auch den Augenblick, und das ließ sich nicht so oft behaupten, im Gegenteil, es war äußerst selten, dass das Leben auf diese Art und Weise aufging. Alfred unterbrach diese angenehmen Gedankensprünge.
    »Es wird dir gut tun, eine Ehefrau an deiner Seite zu haben«, sagte er.
    Ich wollte ihn necken. Nichts war unterhaltsamer, als Alfred
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