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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Spitze im Lügen. Das einzig Wahre an mir ist mein Zwang. Ich sage es noch einmal: Wir nehmen zu viel Platz ein. Die Zeit ist zu knapp für uns Kantige, wie ein Anzug, in den man sich hineinzwängen muss. Wir brauchen eine Nummer größer! Vergebt mir!, rief ich, dass es die Kantsteine entlanghallte und die Wetterhähne sich in alle Himmelsrichtungen drehten. Ich schlug mir die Hand auf den Mund. Es war das erste und einzige Mal im Laufe des Kriegs, dass ich meinem Zwang nachgab. Ich war eine Sirene. Ich war eine Alarmanlage. Sucht Zuflucht im Schutzkeller der Trauer! Vergebt mir! Übrigens bereute ich, dass ich damals Alfred Melingen gekündigt hatte. Brauchen wir nicht alle einen Fahrer?
    Die Dissertation: Pes calcaneus, Pes equinus, Pes valgus, Pes varus.
    Im Rikshospital redeten sie nicht mehr hinter meinem Rücken. Sie sagten mir auch nichts direkt ins Gesicht. Ich weiß nicht, was am besten und was am schlimmsten war.
    Sigrid wurde in derselben Kirche beigesetzt, in der wir getraut worden waren. Ich blieb zu Hause. Ich beendete das Kapitel Pes valgus, Plattfuß. Ich wollte Notto Fipps Worte zu den meinen machen, genauer gesagt mit einer einfachen Umarbeitung, so dass die These zu meiner Größe passte: Wenn ich schreibe, denke ich weniger. Es sind zu viele Gedanken im Umlauf. Ich hatte eine Verstauchung im Kopf. Die Seele war ausgerenkt. Ich dachte an unsere vergeudete Zeit. Bald jedoch bekam ich eine deutliche, klare Information vom Anwalt der Familie Juell über den Stand der Dinge. Meine Ehe mit Sigrid Juell, er benutzte ihren Mädchennamen, war annulliert worden. Er verwies auf eine Erklärung des verstorbenen Dr. Frost, Landarzt, und das Gesetz vom 20. August 1909: Eine Ehe wird auf Begehren eines der Ehepartner aufgelöst, wenn der andere Ehepartner beim Eingehen des Ehebundes ohne Wissen des Ersten an einem körperlichen Mangel litt, das ihn oder sie ungeeignet für eine Ehe machte. Deshalb hatte ich keinerlei Anspruch auf ein Erbe. Ich besaß nichts mehr. Das Haus auf Besserud gehörte mir nicht. Das Einzige, was ich behalten durfte, war die Wohnung im Skovveien, aus reinem Mitleid, die Familie Juell wollte mich nicht auf die Straße setzen. Ich sollte dafür dankbar sein. Mitleid! Dankbarkeit! Es hätte sie in ein schlechtes Licht gestellt, wenn sie mir alles genommen hätten. Deshalb! Sternendiebe und Ränkeschmiede, alle zusammen! Ich hätte ihnen mit Freuden den gesamten Skovveien mit Inventar und Ausblick überreicht, und Besserud loszuwerden war nur eine Erleichterung! Ich sammelte weder Kindheiten noch annullierte Ehen. Selbst auf den Roadster erhoben sie Anspruch. Doch da schob ich einen Riegel vor und verriet nicht, wo er stand. Zum Schluss schrieb dieser advocatus diaboli, dass ich natürlich gegen diese Entscheidung vor Gericht vorgehen könnte, wovon er mir jedoch abriet, ein Urteil würde sowieso nicht zu meinen Gunsten ausfallen, ganz im Gegenteil, es würde zu einer äußerst peinlichen Gerichtsverhandlung kommen, die mich noch der letzten Reste meines Ansehens berauben würde. Ich hätte antworten können, dass Sigrid den Ring trug, als sie starb. Es kommt übrigens vor, dass ich mir wünsche, sie hätte ihn nicht getragen. Das hätte es leichter gemacht, die Trauer zu tragen. Aber ich muckte nicht auf. Ich beließ es bei dieser Entscheidung.
    Pes varus!
    Wenn der Krieg still erschienen war, wurde der Frieden umso emsiger.
    8. Mai. Als der Jubel durch die Stadt marschierte, musste die Dettweiler wieder herausgeholt werden, drei Mal spucken, acht Mal trampeln, Zähneknirschen, Armfuchteln, und ein langes Geheul. Ich war in Gang. Meine Kanten waren schärfer als je zuvor. Lehnte ich mich an jemanden, war das Risiko groß, sich blutig zu schneiden. Aber nach einer Weile legten sich die Hurrarufe. Im Frieden kamen die Kriegsverräter zum Vorschein. Es schien, als würden sie durch das kräftige Licht des Frühlings und des Sommers entwickelt, die Silhouetten der Überläufer und Dirnen. Hätte Sigrid noch gelebt, wäre sie auch verunstaltet worden. Soll ich dafür dankbar sein? Alles, was geschah, war notwendig, und widerstrebte mir dennoch, abgesehen von den Schüssen in Vidkun Quislings Herz. Die wärmten. Im Laufe des Herbstes musste die Gerichtsbarkeit Verstärkung anfordern. Sachkundige fehlten. Deshalb wurde ich nach Gaustad geholt, um zu entscheiden, ob ein Nazi zurechnungsfähig war oder nicht. Das gehörte natürlich in den Bereich der Psychiatrie, aber wie gesagt, es herrschte
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