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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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sogar rückwärts: Menschen suchen erst Behandlung, wenn sie auf dem Weg der Besserung sind. Eines Morgens fühlt Olga sich kräftig genug, um allein ins Krankenhaus von Kristiansand zu fahren, wo sie ausführlich untersucht wird und erfährt, dass sie eine offene Tuberkulose hatte, jetzt aber kein Grund mehr zur Sorge bestehe. Oh Wunder. Oh Moritat mit all deinen Versen und Refrains! Es ist das Licht von Hornnes, was sie hat genesen lassen. Es ist der Frühling, der sie reingewaschen hat. Aber es gibt noch mehr, was ihr berichtet wird. Denn so ist dieser Berufsstand. Wenn sie das eine nicht finden, dann müssen sie etwas anderes finden: Sie kann keine weiteren Kinder mehr bekommen. Ihre Gebärmutter ist durch die Geburt und die starken Hustenattacken geschädigt worden. Sie muss sich mit Notto zufrieden geben. Drei Tage lang bleibt sie im Krankenhaus, bekommt Lebertran und Kreosot und ansonsten leichte Mahlzeiten für die Verdauung. Sie begegnet noch einmal dem alten Doktor. Sie treffen sich auf dem Krankenhausflur. Es ist der letzte Abend. Er ist abgemagert, eingefallen, kann kaum die Füße vorwärts bewegen und bleibt einen Moment lang stehen, ganz schief im Gesicht. Eine sonderbare Unterhaltung findet statt:
    »Sie habe ich schon einmal gesehen«, sagt er.
    »Ja. Sie waren bei uns in Senum.«
    »Da kann man mal sehen. Ich kann mich immer noch erinnern, auch wenn das Gehirn sich langsam verabschiedet.«
    Olga nickt und möchte schnell wieder auf ihr Zimmer gehen.
    »Gute Nacht«, sagt sie.
    Der Doktor hält sie zurück.
    »Aber da ist noch etwas. Noch viel mehr.«
    Ob Olga eine Krankenschwester rufen soll? Er riecht auch nicht besonders gut, und sie kann sich daran erinnern, wie eifrig er mit ihren Brüsten beschäftigt war.
    »Lassen Sie mich.«
    Der Doktor lässt sie los, sie bleibt dann aber dennoch stehen, obwohl er sich mit seinem verdorbenen Atem zu ihr neigt. Sie ist trotz allem neugierig geworden.
    »Als die Sternschnuppe meinen Kopf traf, habe ich alles gesehen, was geschehen wird, meine Liebe.«
    Olga zieht sich ein wenig zurück.
    »Wie meinen Sie das?«
    Der Doktor folgt ihr.
    »In diesem erleuchteten Augenblick stand die Zukunft wie eine klare Quelle vor mir, aus der ich schöpfen kann«, sagt er.
    Olga tritt wieder näher an ihn heran.
    »Haben Sie uns auch gesehen? Uns von Senum?«
    »Ja, das habe ich. Und besonders den Jungen. Heißt er nicht Notto?«
    »Ja! Was wird aus ihm werden?«
    »Das wollen Sie lieber nicht wissen, Frau Senum.«
    Jetzt ist Olga diejenige, die den Doktor am Arm fasst, und beinahe schüttelt sie ihn.
    »Ich bitte Sie. Sagen Sie es mir! Denn ich kann keine weiteren Kinder mehr bekommen!«
    Der Doktor ziert sich ein wenig, und im Verlauf dieser kostbaren Zeit wird sein Gesicht noch schiefer, wenn dies denn möglich ist, das linke Augenlid fällt fast gänzlich auf die gelbe Wange, als löste es sich aus seiner Verankerung, und der Mundwinkel kippt schräg nach unten und formt die trockenen, gerissenen Lippen zu einem umgekehrten, unmöglichen Lächeln.
    »Notto«, teilt er langsam mit, »Notto, wissen Sie, der ist eine Klasse für sich.«
    Olga bleibt einige Sekunden lang schweigend stehen, starrt auf das eine Auge des Doktors und lässt den Nacken knacken.
    »Wer ist das nicht?«, sagt sie dann nur.
    Und endlich trennen sich die beiden.
    Sie müssen sich mit Notto zufrieden geben.
    Und während Olga schlaflos im Bett liegt, lasse ich diesen Medizinmann von einem weiteren Stern getroffen werden, und dieses Mal ist es nicht ein bescheidener Asteroid, der ihn in der Ader trifft, nein, es ist eine ganze Milchstraße, und jetzt ist es auch nicht die Zukunft, in die er schaut, nur vergebliche Vergangenheit, und so lasse ich ihn sterben.
    Am nächsten Morgen wurde Olga gesundgeschrieben und fuhr nach Hause. Als sie in Senum ankam, sah sie ihren Mann in der Tür stehen und auf sie warten, mit Notto auf dem Arm, und dieser Anblick ließ sie in Tränen ausbrechen, sie musste tief Luft holen, und ihr Atem war frei und leicht, und sie musste sich die Tränen aus dem Gesicht wischen, bevor sie auf die beiden zugehen konnte.
    Sie küsste den Jungen zum allerersten Mal, und ich glaube, dass sie ihm in diesem Moment tatsächlich das Leben einhauchte, denn als der Vater ihn danach auf die Schwelle setzte, krabbelte er nicht auf allen vieren herum, nein, er stand auf, hielt das Gleichgewicht und begann über den Hofplatz zu gehen, fünf Monate alt, auf den kleinen Birkenhain hinter dem
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