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Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman

Titel: Die unglaublichen Ticks des Herrn Hval - Roman
Autoren: btb Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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nachdem er sich die Mühe gemacht hatte, ganz bis zu den Senums zu gehen, konnte er auch gleich einen Blick auf die anderen werfen, die Eltern des Sohnes. Er würde nämlich nie zurückkommen, was er natürlich nicht wissen konnte. Bevor er den nächsten Hof tief hinten im Tal erreichte, würde er von einer Apoplexia cerebri getroffen werden. Eine Ader platzte in seinem Gehirn, und letztendlich wurde sein Wunsch doch noch erfüllt. Er kam in das Krankenhaus von Kristiansand, aber leider als Patient. Das hier war mit anderen Worten seine letzte Amtshandlung. Über den Vater gab es nichts zu sagen, ein kräftiger Mann im besten Alter. Das konnte der Doktor sehen, auch wenn der Vater hinten am Schleifstein stand und ihm den Rücken zukehrte. Doch bei der Mutter fand er etwas anderes: Sie hatte ab und zu einen trockenen Husten, der hart und anstrengend klang und sie inwendig aufschürfte. Das konnte eine ganz normale Erkältung oder Reizung sein. Aber es konnte auch ein sehr viel unheilvolleres Zeichen sein für eine Krankheit der Lunge, der Atemwege, und er wollte kein Risiko eingehen. Der Doktor legte ihr einen wärmenden Umschlag um den Hals, stellte ihr ein Glas Gemeine Hundezunge hin, ein linderndes Pulver, horchte eingehend die Brüste ab, die vor Milch fast platzten, ja, es gab sogar Anzeichen für ungewollten Milchfluss, es tropfte von den angeschwollenen Brustwarzen. Er sagte mit entschiedener Stimme:
    »Sie dürfen den Jungen unter keinen Umständen stillen. Haben Sie verstanden?«
    Olga nickte, gehorsam und unglücklich.
    »Und ihm auch nicht ins Gesicht pusten oder ihm zu nahe kommen. Sind Sie damit einverstanden?«
    Wieder nickte Olga, noch unglücklicher.
    Dann begab sich der Doktor auf den Weg, zu seiner eigenen Gehirnblutung.
    Und so wurde es gemacht.
    Jedes Mal, wenn die Mutter hustete, lief es aus ihren großen schweren Brüsten heraus, doch Notto musste sich mit einer Schale Milch begnügen, Kuhmilch, Ziegenmilch, die er wie eine Katze in sich hineinschlürfte. Milch war alles, was er im Kopf hatte. Und als die andere Nachbarsfrau einen Monat später auch einen Jungen gebar, da durfte er ab und zu an ihrer Brust liegen, und einen gierigeren Säugling hatte man kaum je gesehen. Notto saugte sie im Laufe eines Augenblicks leer und wollte sich sogleich an die nächste Brust machen. Die Mutter und zwei Männer waren nötig, um ihn loszureißen.
    Es ging auf den Frühling zu, 1885.
    Der Husten der Mutter wurde nicht besser, und als schließlich im Speichel Blut war, da wussten sie, worauf es hinauslaufen würde.
    Ansonsten gibt es nur spärliche Informationen über diese Zeit, ja, über die gesamte Zeit, die verstrich, bis ich ihm begegnete, sind die Informationen eigentlich nur spärlich vorhanden, und ich kann auch niemanden mehr fragen: sie sind alle schon seit langem tot. Und Notto Fipp machte auch nicht gerade viel Aufhebens von sich. Dazu war er zu bescheiden und vornehm. Er war sein eigener Scheinwerfer, der uns andere glänzen ließ und sichtbar machte. Ich ging, sagte er. Und damit sollte es genug sein. Aber einige Male erwähnte er doch noch den Frühling in Hornnes, und dann wurde ihm ganz lyrisch zumute: Dann schien es, als würde sich das Tal weiten, von einem kräftigen Himmel zur Seite gedrückt werden, das Licht und die Flüsse traten über die Ufer, und es entstand ein ganz besonderer Ton oder besser gesagt Klang, von jedem Grashalm, von jedem Blatt, jeder Blüte. Der Frühling in Hornnes, das war ein Orchester, und der Wind war ein geduldiger Dirigent.
    So auch in diesem Frühling, 1885.
    Im Mai, als die Mutter noch lebte, wurde er in der Kirche von Hornnes getauft, in diesem achteckigen Holzbau, der wie ein Schmuckstück in der Halsgrube des Tales liegt, derselben Kirche, in der er auch zur letzten Ruhe getragen wurde. Und ist das etwa kein Zeichen, dass er, der Kantigste von uns allen, in solch einer eckigen und kantigen Kirche getauft werden sollte? Das ist so eine Art von Zufall, die mich wieder glauben lässt, dass es Gott doch gibt, nicht immer, das bei weitem nicht, aber ab und zu. Der Junge taucht also aus dem Taufbecken auf, sein Haarbüschel ganz oben auf dem Kopf in alle Richtungen vom Wasser gekämmt und mit dem Namen Notto, dem gleichen, den sein Vater trägt und seine Vorväter trugen. Jetzt ist er Notto, Notto Senum, bis auf weiteres.
    Im Laufe des Sommers geht es Olga wieder besser. Der Husten nimmt ab, sie spuckt weniger Blut, bekommt wieder Appetit. Und läuft es nicht
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