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Die unglaublichen Abenteuer des Barnaby Brocket (German Edition)

Die unglaublichen Abenteuer des Barnaby Brocket (German Edition)

Titel: Die unglaublichen Abenteuer des Barnaby Brocket (German Edition)
Autoren: John Boyne
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Blastit an. Anfangs war sie etwas enttäuscht, wenn sie sich im Büro umschaute, weil sie feststellte, dass viele der jungen Männer und Frauen sich nicht unbedingt professionell verhielten.
    Kaum einer ihrer Mitarbeiter hielt seinen Schreibtisch richtig in Ordnung. Stattdessen standen überall Fotos herum: von Familienmitgliedern, von Haustieren oder, noch schlimmer, von Promis. Die Männer zerrupften ihre To-go-Kaffeebecher, während sie sich laut am Telefon unterhielten – das Ergebnis war eine scheußliche Sauerei, die andere nachher beseitigen mussten. Die Frauen schienen den ganzen Tag nichts anderes zu tun als zu essen. Ständig kauften sie sich Snacks von dem Rollwagen, der alle paar Stunden vorbeikam und beladen war mit bunt verpackten Süßigkeiten. So sah nach den gegenwärtigen Normalitätsmaßstäben normales Verhalten aus, aber trotzdem war es nicht normal normal.
    Am Anfang ihrer zweiten Arbeitswoche ging Eleanor zwei Stockwerke nach oben in eine andere Abteilung der Firma, um einem Kollegen ein ungeheuer wichtiges Dokument auszuhändigen, das dieser unverzüglich haben musste, weil sonst die Welt untergegangen wäre. Als sie die Tür öffnete, nahm sie sich vor, die Unordnung und den Schmutz dort lieber nicht zu beachten, weil sie nicht wollte, dass ihr womöglich das Frühstück wieder hochkam. Doch dann sah sie zu ihrer großen Verwunderung etwas – oder besser: jemanden, der ihr Herz einen kleinen Freudensprung machen ließ. Es hüpfte wie eine junge Gazelle, die triumphierend zum ersten Mal über einen Fluss springt.
    In der Ecke stand ein Schreibtisch mit einem Stapel Akten, die säuberlich nach Farben geordnet waren, und an diesem Schreibtisch saß ein ziemlich flotter junger Mann in einem Nadelstreifenanzug und mit exakt gescheiteltem Haar. Im Gegensatz zu den nicht ganz stubenreinen Kreaturen um ihn herum hatte er seinen Arbeitsplatz tadellos aufgeräumt: Kugelschreiber und Bleistifte in einem schlichten Sammelbehälter, alle Unterlagen effizient aufgereiht vor sich, während er sie bearbeitete. Weit und breit kein einziges Foto von einem Kind, einem Hund oder einem Promi.
    »Dieser junge Mann da«, sagte sie zu dem Mädchen, das an dem Schreibtisch gleich bei der Tür saß und sich gerade einen Bananen-Nuss-Muffin in den Mund stopfte, wobei die Krümel auf ihre Computertastatur rieselten und für immer zwischen den Tasten verschwanden. »Der junge Mann da in der Ecke – wie heißt er?«
    »Du meinst Alistair?«, fragte das Mädchen und knabberte nun an der Innenseite der Verpackung, für den Fall, dass dort noch ein bisschen Karamellsauce klebte. »Den langweiligsten Mann im ganzen Universum?«
    »Wie heißt er mit Nachnamen?«, erkundigte sich Eleanor hoffnungsfroh.
    »Brocket. Grauenhaft, stimmt’s?«
    »Nein, perfekt«, sagte Eleanor.
    Und so kam es, dass die beiden heirateten. Das war der normale Gang der Dinge, nachdem sie zusammen im Theater waren (dreimal), in einer Eisdiele (zweimal), in einem Tanzlokal (nur einmal, denn es gefiel ihnen dort nicht so gut, zu viel unsympathische Rock-and-Roll-Musik). Und nach einem Tagesausflug zum Luna Park, wo sie Fotos machten und sich sehr nett unterhielten, bis die Sonne unterging und das riesige Clownsgesicht am Eingang durch die Lichter noch bedrohlicher aussah als sowieso schon.
    Genau ein Jahr nach ihrem großen Tag konnten Alistair und Eleanor, die nun in einem normalen Haus in Kirribilli in Lower North Shore wohnten, ihr erstes Kind begrüßen, einen Jungen namens Henry. Er kam, nach kurzen Wehen, an einem Montagmorgen auf die Welt, pünktlich um neun Uhr, wog exakt sieben Pfund und lächelte dem Arzt, der ihn entband, höflich zu. Eleanor schrie nicht bei der Geburt, sie stöhnte nicht einmal, ganz anders als die übrigen Mütter, deren vulgär theatralisches Getue jeden Abend den Fernsehempfang störte. Ja, die Geburt war insgesamt eine höchst höfliche Angelegenheit, ordentlich und gesittet, und niemand nahm in irgendeiner Weise Anstoß daran.
    Henry passte gut zu seinen Eltern, er war ein sehr braver kleiner Junge, trank aus seinem Fläschchen, wenn man es ihm anbot, aß sein Essen und machte immer ein ganz betroffenes Gesicht, wenn er in die Windel kackte. Sein Wachstum verlief absolut normal, mit zwei Jahren konnte er sprechen, und ein Jahr später kannte er die Buchstaben des Alphabets. Als er vier Jahre alt war, sagte die Erzieherin im Kindergarten zu Alistair und Eleanor, über ihren Sohn gebe es weder Gutes noch Schlechtes zu
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