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Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten
Autoren: Kazuo Ishiguro
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empfehle allen Touristen einen Besuch dort. Die Atmosphäre ist überwältigend, es gibt eine Fülle von Straßencafés, Handwerksbetrieben, Restaurants. Man kommt bequem zu Fuß von hier aus hin, die Gelegenheit sollten Sie also wahrnehmen, sobald Ihr Terminplan es erlaubt.«
    »Das werde ich mir bestimmt nicht entgehen lassen. Ach übrigens, Miss Stratmann, was den Terminplan betrifft...« Ich redete absichtlich nicht weiter, weil ich hoffte, die junge Frau würde eine Bemerkung über ihre Vergeßlichkeit machen, vielleicht in ihren Aktenkoffer greifen und ein Blatt Papier oder eine Mappe hervorziehen. Doch obwohl sie recht schnell das Wort ergriff, sagte sie nur:
    »Es ist wirklich ein sehr straffer Terminplan. Aber ich hoffe doch, es ist zu bewältigen. Wir haben versucht, ihn auf das Notwendige zu beschränken. Natürlich hat es sich nicht vermeiden lassen, daß wir völlig überrannt wurden – von den Gesellschaften und Vereinen der Stadt, von den Medien, von allen. Sie haben eine riesige Anhängerschaft bei uns, Mr. Ryder. Viele hier sind überzeugt, daß Sie nicht nur einer der besten Pianisten der heutigen Zeit sind, sondern vielleicht sogar der größte des Jahrhunderts. Aber wir denken, wir haben es schließlich geschafft, die Termine auf das absolute Minimum zu beschränken. Ich hoffe, es findet alles Ihre Zustimmung.«
    Genau in dem Moment öffneten sich die Aufzugtüren, und der ältliche Hoteldiener machte sich auf den Weg den Korridor hinunter. Unter dem Gewicht der Koffer schlurfte er mit den Füßen über den Teppich, Miss Stratmann und ich hinter ihm her, und wir mußten langsam gehen, um ihn nicht zu überholen.
    »Ich kann nur hoffen«, sagte ich zu ihr, während wir weitergingen, »daß sich niemand gekränkt gefühlt hat, ich meine, weil ich nicht für alle Zeit haben werde.«
    »O nein, machen Sie sich darüber keine Gedanken. Wir alle wissen, warum Sie gekommen sind, und es will sich keiner nachsagen lassen, er hätte Sie irgendwie abgelenkt. Von zwei wirklich bedeutenden gesellschaftlichen Ereignissen abgesehen, haben übrigens alle Punkte Ihres Programms mehr oder weniger direkt mit Donnerstag abend zu tun. Aber Sie haben ja inzwischen Gelegenheit gehabt, sich mit Ihrem Terminplan vertraut zu machen.«
    Es war etwas an der Art, wie sie diesen letzten Satz sagte, das es für mich schwierig machte, offen und ehrlich zu antworten. Deshalb brummelte ich: »Ja, natürlich.«
    »Es ist wirklich ein vollgepackter Terminplan. Aber für uns war Ihr Wunsch ausschlaggebend, so viel wie möglich aus erster Hand zu erfahren. Was ich sehr lobenswert finde, wenn ich das sagen darf.«
    Der ältliche Hoteldiener vor uns blieb bei einer Tür stehen. Endlich stellte er meine Koffer ab und machte sich an dem Schloß zu schaffen. Als wir bei ihm waren, nahm Gustav die Koffer wieder auf, ging schwankend in das Zimmer und sagte: »Bitte, treten Sie ein.« Das wollte ich gerade tun, als mich Miss Stratmann mit der Hand am Arm berührte.
    »Ich will Sie nicht lange aufhalten«, sagte sie. »Aber ich möchte mich bei dieser Gelegenheit doch noch vergewissern, ob es in Ihrem Terminplan irgend etwas gibt, mit dem Sie nicht so ganz einverstanden sind.«
    Die Tür schlug zu, und wir standen davor auf dem Korridor.
    »Also, Miss Stratmann«, sagte ich, »im großen und ganzen scheint es mir... ein sehr ausgewogenes Programm zu sein.«
    »Gerade weil uns daran gelegen war, Ihre Wünsche zu berücksichtigen, haben wir ein Treffen mit der Bürger-Selbsthilfe arrangiert. Die Mitglieder dieser Organisation sind ganz normale Leute aus allen Gesellschaftsschichten, die das Bewußtsein zusammengeführt hat, daß sie Opfer der gegenwärtigen Krise sind. Sie werden von den Betroffenen selbst hören können, was manche durchmachen mußten.«
    »Aha. Das wird bestimmt sehr hilfreich sein.«
    »Und wie Sie sicher gesehen haben, konnten wir auch Ihrem Wunsch entsprechen, mit Herrn Christoff persönlich zusammenzutreffen. Unter den Umständen haben wir vollstes Verständnis für diesen Wunsch. Herr Christoff seinerseits ist hocherfreut, wie Sie sich ja denken können. Er hat sich dieses Treffen mit Ihnen natürlich auch gewünscht, wofür er seine ganz eigenen Gründe hat. Ich meine, er wird mit seinen Freunden alles nur Erdenkliche tun, um Sie von seiner Sicht der Dinge zu überzeugen. Das ist natürlich alles Unsinn, aber ich bin sicher, es wird Ihnen dabei helfen, sich einen ungefähren Eindruck von dem zu verschaffen, was sich
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