Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Ungetroesteten

Titel: Die Ungetroesteten
Autoren: Kazuo Ishiguro
Vom Netzwerk:
machen‹, sagt er und deutet auf die Gepäckstücke. ›Das wäre das richtige Leben für mich. Ich müßte mir um nichts mehr Sorgen machen.‹ Ich nehme an, er wollte einfach nur nett sein. Wollte andeuten, daß ich zu beneiden wäre. Da war ich ja noch jünger, da habe ich die Koffer nicht in der Hand behalten, ich habe sie auf dem Boden abgestellt, genau hier in diesem Aufzug, und ich nehme an, daß ich damals wirklich ein bißchen so aussah. Eben sorglos, wie der Herr meinte. Na, ich kann Ihnen sagen, da hat es mir aber wirklich gereicht. Ich meine, nicht das, was er gesagt hat, hat mich so wütend gemacht. Aber als er es zu mir sagte, da wurde mir auf einmal alles klar. Über einiges hatte ich nämlich schon eine ganze Weile nachgedacht. Und dann, das habe ich Ihnen ja erzählt, war ich gerade erst aus unserem kurzen Urlaub in Luzern gekommen, wo mir erst richtig die Augen aufgegangen sind. Na, und da dachte ich mir, jetzt ist es aber höchste Zeit, daß die Hoteldiener in dieser Stadt anfangen, die hier herrschende Einstellung zu ändern. In Luzern hatte ich nämlich etwas anderes gesehen, und ich dachte, na ja, was sich hier abspielt, ist wohl nicht so ganz das Wahre. Also habe ich mir den Kopf zerbrochen und ein paar Maßnahmen beschlossen, die ich persönlich ergreifen wollte. Natürlich wußte ich wahrscheinlich damals schon, wie schwierig das werden würde. Ich glaube, ich habe wohl schon vor all den Jahren begriffen, daß es für meine Generation vielleicht schon zu spät war. Daß schon zu viel geschehen war. Aber da dachte ich eben, wenn ich auch nur meinen kleinen Beitrag leisten kann und sich auch nur ein bißchen etwas ändert, dann wäre es wenigstens leichter für alle, die nach mir kommen. Also habe ich meine Maßnahmen ergriffen, und ich halte mich daran, seit der Stadtrat das damals zu mir gesagt hat. Und ich kann voller Stolz sagen, daß eine ganze Reihe von Hoteldienern in der Stadt meinem Beispiel gefolgt ist. Das heißt nicht, daß sie ganz genau nach derselben Methode arbeiten. Aber na ja, sagen wir, daß ihre Methoden mit meiner durchaus in Einklang stehen.«
    »Ah ja. Und eine Ihrer Maßnahmen besteht darin, das Gepäck nicht abzustellen, sondern in der Hand zu behalten.«
    »Das ist es, Sie haben mich ganz genau verstanden. Natürlich muß ich zugeben, daß ich damals, als ich meine eigenen Regeln aufgestellt habe, wesentlich jünger und kräftiger war, und ich nehme an, ich habe nicht ernsthaft damit gerechnet, mit zunehmendem Alter auch schwächer zu werden. Schon komisch, aber mit so etwas rechnet man eben einfach nicht. Den anderen Hoteldienern ist es ganz ähnlich ergangen. Aber trotzdem versuchen wir, uns an das zu halten, was wir einmal beschlossen haben. Mit den Jahren sind wir eine richtig eingeschworene Gemeinschaft geworden; wir sind zu zwölft, der Rest von denen, die damals vor all den Jahren versucht haben, etwas zu ändern. Wenn ich jetzt irgend etwas davon zurücknehmen würde, dann hätte ich das Gefühl, die anderen im Stich zu lassen. Und wenn einer von ihnen etwas zurücknehmen würde, dann würde ich mich im Stich gelassen fühlen. Denn es steht außer Zweifel, daß in dieser Stadt ein gewisser Fortschritt erzielt worden ist. Es gibt immer noch viel zu tun, natürlich, aber wir haben es oft besprochen – wir treffen uns jeden Sonntagnachmittag im Ungarischen Café in der Altstadt, Sie können ja einmal mitkommen, es wäre uns eine große Freude, Sie bei uns zu haben -, na ja, wir haben uns über diese Dinge oft unterhalten, und wir sind uns alle einig: Wir können zweifelsohne sagen, daß sich in dieser Stadt, was die Einstellung uns gegenüber betrifft, einiges deutlich verbessert hat. Die Jüngeren, die nach uns kommen, die halten natürlich alles für selbstverständlich. Aber wir zwölf vom Ungarischen Café, wir wissen, daß wir etwas bewirkt haben, und wenn es auch nur ganz wenig ist. Wir würden uns wirklich sehr freuen, Sie einmal bei uns zu haben. Es wäre mir eine Freude, Sie unserer Gruppe vorzustellen. So förmlich wie früher geht es bei uns längst nicht mehr zu, und wir sind uns einig, daß wir gelegentlich unter besonderen Umständen auch Gäste an unseren Tisch bitten. Und um diese Jahreszeit ist es draußen bei der sanften Nachmittagssonne besonders schön. Wir haben unseren Tisch im Schatten, unter der Markise, mit Blick auf den Alten Platz. Es ist wirklich sehr schön, es gefällt Ihnen bestimmt. Aber um auf das zurückzukommen, was ich gerade
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher