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Die Überlebenden der Kerry Dancer

Die Überlebenden der Kerry Dancer

Titel: Die Überlebenden der Kerry Dancer
Autoren: Alistair MacLean
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weniger hatte sie irgendeine Ahnung, wo in der Dunkelheit Cape Ru liegen mochte.
    Eine halbe Stunde verging, eine Stunde, und auch ihre Schritte begannen, matter zu werden, da zum erstenmal das Gefühl der Verzweiflung in ihr aufstieg. Sie würden die Soldaten niemals finden, niemals, nicht in dieser Verwirrung und Dunkelheit ohne Ende. Es war im höchsten Maße unbillig von ihrem Arzt, Major Blackley, dies von ihnen erwartet zu haben. Und doch wußte sie im gleichen Augenblick, da sie es dachte, daß die Unbilligkeit nicht bei Blackley lag, sondern bei ihr. Wenn der Tag graute in den Außenbezirken von Singapur, dann würde das Leben eines jeden, ob Mann oder Frau, keinen Pfifferling mehr wert sein – alles hing ganz davon ab, in was für einer Laune sich die Japaner befanden. Sie war ihnen schon früher begegnet und hatte bittere Ursache, sich daran zu erinnern, und Narben, die bis ans Ende ihres Lebens von dieser Begegnung zeugen würden. Je weiter entfernt von der ersten Mordlust der Japaner, desto besser; außerdem, so hatte der Major erklärt, sei keine von ihnen mehr in einem Zustand, um auch nur noch eine Stunde länger dort zu bleiben, wo sie waren. Das Mädchen schüttelte unwillkürlich den Kopf, beschleunigte von neuem ihren Schritt und bog ein in die nächste dunkle und leere Straße.
    Furcht und Schrecken, Krankheit und Verzweiflung – das war es, was bei der umherirrenden Marschkolonne, bei dem kleinen Jungen und den Krankenschwestern und bei Zehntausenden anderer Menschen in dieser Mitternacht des 14. Februar 1942 die Existenz eines jeden einzelnen bestimmte und beherrschte, während die triumphierenden, unaufhaltsam vordringenden Japaner geduckt vor den Verteidigungsstellungen der Stadt lagen und auf die Dämmerung warteten, auf den letzten Angriff, auf das Blutbad und auf den Sieg, der ihnen sicher war.
    Doch für einen Menschen wenigstens existierten Furcht und Schmerz und Verzweiflung einfach nicht. Der hochgewachsene, ältere Mann, der in dem von Kerzen beleuchteten Warteraum der Kommandantur saß, ein Stück südlich von Fort Canning, dachte an nichts dergleichen. Er dachte nur an das unaufhaltsame Verstreichen der Zeit, an die geradezu überwältigende Dringlichkeit seiner Sache, und an das schier übermenschliche Maß von Verantwortung, das auf seinen zwei Schultern lag. Daran dachte er, und obwohl es sein Bewußtsein mit völliger Ausschließlichkeit erfüllte, ließ die ausdruckslose Miene des faltig-markanten ziegelroten Gesichts unter dem dichten weißen Haar nichts davon erkennen. Möglich, daß die Glut des Burma-Stumpen, der forsch aus dem struppigen weißen Schnurrbart unter der Adlernase hervorstach, eine Idee zu lebhaft glühte, und vielleicht saß der Mann eine Spur zu lässig in seinem Rohrsessel; doch das war auch alles. Ansonsten deutete seine ganze äußere Erscheinung darauf hin, daß sich Foster Farnholme, Brigadekommandeur i.R. mit sich und der Welt in Frieden befand.
    Die Tür hinter ihm wurde geöffnet und ein junger, müde aussehender Sergeant kam herein. Farnholme nahm den Stumpen aus dem Mund, wandte langsam den Kopf und hob in stummer Frage die buschigen Brauen.
    »Ich habe Ihren Wunsch ausgerichtet, Sir.« Die Stimme des Sergeanten klang genauso müde, wie sein Gesicht aussah. »Captain Bryceland läßt Ihnen sagen, daß er sofort hierherkommen wird.«
    »Bryceland?« Die weißen Augenbrauen vereinigten sich über den tiefliegenden Augen zu einer schnurgeraden Linie. »Wer zum Teufel ist Captain Bryceland? Hören Sie, mein Guter, ich hatte ausdrücklich darum gebeten, Ihren Colonel zu sprechen, und ich muß ihn sprechen, auf der Stelle. Sofort! Haben Sie verstanden?«
    »Vielleicht kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein.« Hinter dem Sergeanten war ein anderer Mann in der Tür erschienen. Selbst in dem flackernden Kerzenlicht konnte man die völlig blutunterlaufenen Augen und die fiebrige Röte sehen, die die gelblichen Wangen bedeckte. Seine Stimme klang sehr höflich.
    »Bryceland?«
    Der junge Offizier nickte wortlos.
    »Sicher können Sie mir behilflich sein«, sagte Farnholme. »Führen Sie mich bitte zu Ihrem Colonel, und zwar sofort. Ich habe keinen Augenblick Zeit zu verlieren.«
    »Nicht zu machen.« Bryceland schüttelte den Kopf. »Er schläft im Augenblick. Der erste Schlaf seit drei Tagen und drei Nächten – und Gott allein weiß, daß wir ihn morgen hier bei uns nötig haben werden.«
    »Ich weiß. Trotzdem, ich muß ihn sprechen.« Farnholme
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