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Die Überlebenden der Kerry Dancer

Die Überlebenden der Kerry Dancer

Titel: Die Überlebenden der Kerry Dancer
Autoren: Alistair MacLean
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Kameraden, an die Schreie, wenn irgendein nichtsahnender Posten im feindlichen Dunkel des Dschungels abgeschlachtet wurde, oder an das teuflische Geheul der Japaner, wenn sie in der dunklen Stunde vor Morgengrauen ihre eilig ausgehobenen Stellungen überrannten. Sie dachten nicht mehr an diese verzweifelten, selbstmörderischen Gegenangriffe, mit denen nichts gewonnen war als ein paar Quadratmeter Land, erbittert und sinnlos zurückerobert für einen kurzen Augenblick; Angriffe, die ihnen nichts einbrachten als den Anblick der entsetzlich verstümmelten Leichen ihrer gefangenen Kameraden und derjenigen Zivilisten, die eine Idee zu lange gezögert hatten, sich auf die Seite des Feindes zu schlagen. Vergessen war ihre Wut, die Bestürzung und Verzweiflung, als die letzten Brewster-Fighters und, erst kürzlich, auch die Hurricans vom Himmel verschwunden waren und sie völlig schutzlos der japanischen Luftwaffe ausgeliefert hatten. Auch ihre absolute Ungläubigkeit, als vor fünf Tagen die Nachricht gekommen war, japanische Truppen seien auf der Insel gelandet, und ihre Bitterkeit, als die sorgsam genährte Sage, der Mythos von der Uneinnehmbarkeit Singapurs, vor ihren Augen zerbrach – auch das war aus ihrem Gedächtnis verschwunden. Sie erinnerten sich nicht mehr daran. Sie waren viel zu betäubt und krank und verwundet und schwach, um sich zu erinnern. Eines Tages aber, bald sogar, falls sie am Leben blieben, würden sie sich wieder erinnern, und dann würde keiner von ihnen jemals wieder der sein, der er gewesen war. Inzwischen aber schleppten sie sich müde weiter, die Augen an der Erde, mit hängenden Köpfen, ohne zu sehen, wohin sie gingen, und ohne sich Gedanken darüber zu machen, wo sie ankommen mochten.
    Einer von ihnen aber sah nach vorn und machte sich Gedanken. Er ging langsam an der Spitze der Zweierreihe, suchte mit der Taschenlampe, die er an- und ausmachte, einen begehbaren Weg durch die Trümmer, die die Straße bedeckten, und stellte von Zeit zu Zeit fest, in welcher Richtung sie sich bewegten. Er war klein und schmächtig, der einzige, der einen Schottenrock und eine Schottenmütze trug. Woher er den Schottenrock hatte, das wußte nur Korporal Fraser selbst; auf dem Rückzug durch Malaya hatte er ihn bestimmt nicht angehabt.
    Korporal Fraser war nicht weniger müde als irgendeiner der anderen. Auch seine Augen waren entzündet und blutunterlaufen, und sein Gesicht war grau und verfallen, weil er Malaria hatte oder die Ruhr, oder vielleicht auch beides. Seine linke Schulter stand sehr viel höher als die rechte, fast bis zum Ohr hochgezogen, als sei er körperlich deformiert; es war aber kein Auswuchs, sondern nur ein rohes Polster aus Gaze und Bandage, das ihm ein Sanitäter im Laufe des Tages eilig unter das Hemd gestopft hatte, um das heftige Bluten einer üblen Schrapnellwunde notdürftig zu stillen. In der rechten Hand hielt er seine Maschinenpistole, und ihr Gewicht von über zwanzig Pfund war fast mehr, als sein geschwächter Körper tragen konnte; dadurch wurde sein rechter Arm nach unten gezogen und die linke Schulter hochgedrückt, noch näher an sein Ohr.
    Diese schiefe Haltung, die Schottenmütze, die schräg auf seinem Kopf saß, und der Schottenrock, der um seine ausgemergelten Beine schlenkerte, gaben dem kleinen Mann ein groteskes und lächerliches Aussehen. Doch Korporal Fraser hatte nichts Groteskes und Lächerliches an sich. Von Haus aus Schafhirt in den schottischen Bergen, ein Mann, für den Entbehrungen und harte Strapazen zum täglichen Brot gehörten, hatte er auch jetzt letzte Reste von Willenskraft und Ausdauer in Reserve, die er anzapfen konnte. Korporal Fraser war als Soldat immer noch ein durchaus leistungsfähiger Mann – ein Soldat der allerbesten Art. Pflicht und Verantwortung wogen bei ihm sehr schwer, der eigene Schmerz und die eigene Erschöpfung existierten für ihn nicht, seine Gedanken galten einzig und allein den Männern, die hinter ihm angeschlurft kamen und ihm blindlings folgten. Vor zwei Stunden hatte der Chef ihrer schwer angeschlagenen Kompanie am Nordrand der Stadt Fraser den Befehl gegeben, alle marschfähigen Verwundeten und soviel Schwerverwundete, wie sie tragen konnten, aus der vordersten Front nach hinten zu führen und an irgendeinen relativ sicheren Ort zu bringen. Im Grunde nur eine Geste, darüber war sich der Offizier klar gewesen, und Fraser gleichfalls; denn die letzten Stellungen waren nicht mehr zu halten und Singapur war erledigt.
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