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Die Ueberbuchte

Die Ueberbuchte

Titel: Die Ueberbuchte
Autoren: Doris Rawolle
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einem Hauch von sentimentaler Nostalgie verbrämt. Denn in all den Jahren, ja Jahrzehnten, die er fern von zu Hause weilte, hatte er am meisten unter den fehlenden Anblick, der sich ständig verändernden See gelitten. Aufgewachsen am Gestade der Nordsee, genauer gesagt, auf Jütland in Dänemark, nahe der Schleswig-Holsteiner Grenze, da gehörte die See mit ihren wechselnden Gezeiten, ihren weichen Dünen und sandigen Strand zu ihnen, wie die Luft zum Atmen. Deshalb schmerzte ihn heute noch der bloße Gedanke daran, als ihm in jungen Jahren klar wurde, dies alles irgendwann verlassen zu müssen. Vielleicht aber kam ihm gerade zu diesem Zeitpunkt, sein immer heiteres, unkompliziertes Naturell besonders zugute. Trotzdem, aufgewachsen in der behütetsten, scheinbar unbegrenzten Freiheit, erdverbunden und im absoluten Einklang mit der Natur, konnte er anfangs nur schwer begreifen, dass der elterliche Hof auf Dauer nicht für alle Mitglieder der Familie ein Zuhause bieten konnte. Genauer gesagt, Max, der älteste Bruder, war von jeher für die Übernahme des Hofes vorgesehen – was sich nach dem frühen Tod seines Vaters sehr schnell bewahrheitete. Danach sollte sich auf dem Hof sowieso alles sehr schnell ändern, da Max, die Geschicke der Familie mit festen Griff nach seinem Gutdünken zu lenken versuchte. In dieser Zeit des Auseinanderbrechens der Familie, entwickelte sich ganz rapide seine Vorliebe für die Fernfahrerei – das Abenteuer schlechthin. Von nun an gab es für ihn kein lohnenderes Ziel mehr; er wollte auf den endlosen Straßen die große weite Welt kennenlernen, und sonst nichts.
    Und was für ein erhebendes, ja überwältigendes Glücksgefühl, als er es endlich geschafft hatte und zum ersten Mal auf große Fahrt geschickt wurde. So lang er noch jung genug war, gab es für ihn kein erfüllteres, schöneres Leben. Erst viel später, bedingt durch die ständige Zunahme des Fernverkehrs, kehrte sich zuweilen die Lust zur Qual um. Die Staus wurden immer länger und der Druck der Termine immer härter.
    Dem puren Zufall war es schließlich zu verdanken, dass er als fast Vierzigjähriger eine Stelle als Reisebusfahrer angeboten bekam. Von da an kam die gewohnte Lust wieder zurück. Die Umstellung war zwar beträchtlich, nicht mehr nur für eine abstrakte Wagenladung, sondern für das Wohlbefinden einer mitunter strapaziösen Reisegruppe verantwortlich zu sein, doch gerade das begann er besonders zu lieben.
    Angenehm berührt von der eigentümlichen Schönheit der Insel, im Besonderen das Fleckchen Erde, das sein Schwager Ernst von seinem Onkel oder von wem auch immer, geerbt hatte. Das niedrige Fachwerkhaus aus roten Backstein, dem althergebrachten, anheimelnden Schindeldach und den kleinen, mehrfach unterteilten Fenstern, all das hatte ihn niemals mehr entzückt, als an diesem windigen Frühlingstag.
    Nur zögerlich, fast behutsam, näherte er sich dem Haus, das grell von der aus dunklen Wolken hervorbrechenden Sonne beschienen wurde. Schließlich blieb er stehen, um tief den herben Geruch des Meerwassers einzuatmen. Am liebsten wäre er, wie als Kind, mit ausgebreiteten Armen den tosenden Wellen entgegengelaufen.
    »Hallo, Knut!«, drang da der freudige Ausruf einer weiblichen Stimme an sein Ohr.
    Er drehte sich zur Seite, von wo die Stimme erklang. Und da sah er sie auch schon, Dagmar, seine Schwester, wie sie ihm mit weitausholenden Schritten auf sandigen Pfad entgegeneilte. Sie hielt einen Einkaufskorb am Arm, aus dem ein blauweiss kariertes Tuch ungestüm flatterte. Als sie sich fast auf gleicher Höhe mit ihm befand, sah er, dass sich in ihr kupfergoldenes Haar graue Strähnen eingeschlichen hatten. Sonst aber schien sie sich kaum verändert zu haben, höchstens was die Jahre an natürlichen Spuren zu hinterlassen pflegten.
    Nun hatte sie ihn erreicht und streckte ihm keuchend die Hand entgegen, die er mit beiden Händen fest umschloss.
    »Wie schön, dass du auch wieder mal den Weg zu uns gefunden hast! Wie geht es dir? Wieder vollkommen gesund? Und wie geht es den anderen? Ich höre ja kaum noch etwas von euch«, sprudelte es nur so aus ihr heraus.
    »Oh, mir könnte es gar nicht besser gehen.«
    »Du kommst doch hoffentlich nicht wieder bloß auf einen Sprung vorbei?«, fiel sie ihm sogleich ermahnend ins Wort.
    »Nein, diesmal nicht.«
    So wie er das sagte, ließ es sie aufhorchen und ein schneller prüfender Blick streifte sein Gesicht, ehe sie mit noch größerer Herzlichkeit erwiderte:
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