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Die Tuer zur Zeit

Die Tuer zur Zeit

Titel: Die Tuer zur Zeit
Autoren: Pierdomenico Baccalario
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gehen.
»Nach Ihnen, Käpt'n Jason.«
    Jason legte ihm eine Hand auf die Schulter und sagte
im gleichen, gezierten Ton: »Danke, Käpt'n Rick.« Er drehte sich nach seiner Schwester um, die inzwischen das
Wörterbuch geholt hatte und fügte hinzu: »Käpt'n Julia,
ich erwarte Sie an Bord unseres neuen Schiffs.«

    Dann lief er mit zwei Schritten über das Brett und
sprang an Bord.
    Das Schiff war ganz aus Holz gebaut. Es gab nur ein
Deck, unter dem sich auch der einzige Laderaum im
Bauch des Schiffs befand. Zu beiden Seiten standen je eine
Reihe von zehn Bänken und zu jeder Bank gehörte ein
Ruder, das wiederum an seinem Auflager angekettet war.
    »Auf diese Weise kann man sie nicht im Wasser verlieren«, erklärte Rick.
    »Wohlgewählte Worte, Käpt'n Rick«, erwiderte Jason,
der neben ihm herging.
    »›Metis‹!«, rief auf einmal Julia, die im Wörterbuch
der vergessenen Sprachen herumgeblättert hatte. »Dieses
Schiff heißt Metis. Das ist Altgriechisch.«
    »Ach so«, sagte Jason. »Metis klingt jedenfalls viel besser als Metie.«
    »Bedeutet das etwas?«, fragte Rick.
    »Mal sehen ... Ja. Metis bedeutet ›Klugheit‹. Es war der
Name der ersten Gattin des Zeus, der Tochter des Okeanos und der Tethys. Eine intelligente Person ... wie eben
alle Frauen.«
    Julia schloss das Wörterbuch. Dann beugte sie sich vor,
schaute in den Laderaum hinunter und sagte enttäuscht:
»Er ist leer. Hier unten ist nichts ...«

    Insgeheim hatte sie gehofft, in einem verborgenen
Winkel einen großen Schatz zu finden.
    Doch das Schiff war nichts als eine leere Hülle.
    An dem hohen, stabilen Mast war kein Segel. Es hingen nur vier starke, salzverkrustete Taue daran, die von
der Spitze zu den Breitseiten, zum Bug und zum Heck
gespannt waren.
    »Keine Segel«, murmelte Rick. »Dieses Schiff ist nie
in See gestochen, oder jedenfalls schon sehr lange nicht
mehr. Doch der Rumpf scheint in Ordnung zu sein. Mit
Muscheln verkrustet, aber unversehrt. Ich glaube nicht,
Bohrwürmer gesehen zu haben, oder ...«
    »Was für Würmer?«
    »Bohrwürmer. Das sind eigentlich keine Würmer, sondern Muscheln, und sie ernähren sich von Holz. Sie setzen
sich in den Planken fest und zerstören sie allmählich.«
    Jason schob die Lippe vor, wie um »Donnerwetter«
oder »Cool!« oder so etwas Ähnliches zu sagen.
    Die beiden kleinen Kapitäne gingen zum Bug. Kurz
davor standen zu beiden Seiten zwei Ruder an die Bordwand gelehnt, die breiter und flacher als die übrigen waren
und deren Ruderlager sich knapp unter den Relings der
Breitwände befanden.
    »Die hier sind zum Steuern gedacht«, erklärte Rick.
»Man lässt sie zu beiden Seiten des Schiffs herunter und
bedient sie mithilfe des Helmstocks ...« Er zeigte auf einen
Hebel aus Holz, der an den Rudern befestigt war. Damit
konnte man mitten auf dem Deck stehend steuern.

    »Was ist denn das?«, fragte Jason und zeigte auf ein
Holzhäuschen, das sich knapp hinter den Steuerrudern
am Bug befand.
    »Die Kajüte des Kapitäns«, antwortete Rick und
näherte sich dem Eingang.
    Über der Schwelle der Kajüte hing ein alter Jutevorhang, den Wetter und Feuchtigkeit verschlissen hatten.
Beinahe widerwillig schob Rick ihn beiseite und schaute
ins Innere. Um im Dunkeln etwas sehen zu können, zündete er das Feuerzeug an.
    Die Kapitänskajüte war bis auf ein paar Möbel leer.
Was an alten Stoffen die Zeit überdauert hatte, hing in
Fetzen von der Decke und den Wänden und verlieh dem
Raum ein heruntergekommenes Aussehen.
    Auf der einen Seite war, zwischen zwei Truhen eingekeilt, ein sehr einfaches Bett. Ein an der gegenüberliegenden Wand waagerecht montiertes Brett musste als
Tisch gedient haben. Auf diesem stand ein dreiarmiger
Leuchter, in dem noch drei Kerzenstummel steckten.
Daneben lag ein in schwarzes Leder gebundenes Buch.
    Rick ging zum Tisch, zündete die Kerzenstummel
an und berührte mit zitternden Fingern behutsam das
Buch.
    »Es könnte das Logbuch des letzten Kapitäns sein«,
flüsterte Julia hinter ihm.
    Rick schlug es auf.
    Draußen, auf dem offenen Meer, erhellte ein gewaltiger Blitz einen Augenblick lang den Horizont.



Auf der ersten Seite stand in einer eleganten
Schrift:
    17. September des vorigen Jahres
    Dies wird vermutlich die letzte Reise der Metis sein, unserer
klugen Reisenden. Nachdem sie all unseren Sehnsüchten gefolgt
ist und uns überall dorthin gebracht hat, wo wir hinwollten, gibt
es für sie jetzt keinen Grund mehr, in
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