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Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)

Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)

Titel: Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
Autoren: Ivonne Hübner
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in Öl oder Pastell, die dem Spiegelbild der realen Entsprechung in nichts nachstanden, zum Greifen echt waren. Sie liebte es, wenn die Nebel im Mandautal die Mauern des Schlosses der Herren zu Kyaw einwoben und das erste orange-gelbe Morgenlicht ihr ein Gruß aus einer anderen Welt war. Und sie liebte schöne, gemusterte Stoffe. Und dieser Stoff hier war schön! Sie fand ihre Sprache wieder: „Zeigen Sie mir, von wo an Sie – nicht Ihr Vater, sondern Sie – gearbeitet haben!“
    Caspar Weber stellte sich neben sie und zeigte ihr die Stelle, von der an er gewebt hatte. Luisa kramte in ihrer Tasche nach ihrem Fadenzähler, einer kleinen Lupe, die in einer U-förmigen Messingfassung steckte, legte die winzige Lupe an, beugte sich hinunter und betrachtete die Struktur der Atlasbindung. Makellos! Nahtlos! Das war nicht möglich! „Sind Sie sicher?“
    „Hm-mmh.“
    Wie konnte das sein? Es war bis zum heutigen Tage niemandem gelungen, an die einwandfreie Ware eines Meisters Friedrich Weber heranzukommen oder sie in Güte gar zu übertrumpfen. Meister Weber war der beste Damastweber des ganzen Ortes, einer der besten der Region. Luisa hatte auf der Expedientenschule gelernt, dass jeder Weber seine eigene Handschrift, seine eigene Schussführung hatte und dass es verboten war, ein Tuch von verschiedenen Webern machen zu lassen, weil man die unterschiedliche Schussführung immer erkennen würde. Aber hier war offenbar das nie da Gewesene vollbracht worden: Friedrich und Caspar Weber führten denselben makellosen Schuss ins Atlasgewebe ein!
    Die Hitze des Mauerofens benebelte Luisas Gedanken. Ihre Haut glühte unter dem dicken Mantel, unter ihrem in der Taille eng geschnürten Kleid, unter ihrem Korsett, dem viel zu engen Ding, in ihren Lammfellstiefeletten, ihren Handschuhen und unter ihrer Kapuze. Zumindest Letztere lüftete sie jetzt. Ein barmherziger Luftzug streifte ihren Nacken und ihre Ohren.
    „Gut.“ Sie straffte ihre Haltung, verstaute den Fadenzähler in ihrer Tasche.
    Er zeigte keine Regung. Er würde die halbe Nacht reglos neben ihr stehen können, um ihr Wort abzuwarten.
    Luisa ertrug es nicht, von ihm gemustert zu werden. „Das schaffen Sie nie und nimmer. Außerdem ist es verboten.“
    „Egal, ich mache das heut Nacht!“
    Wieder brodelte Luisa innerlich. Der Familie Weber sagte man diesen Stolz nach, der es den Verlegern schwer machte, mit ihnen zurechtzukommen.
    Caspar Weber trotzte ihr.
    Sie trotzte zurück: „Sie schon gar nicht! Es ist immer noch der Auftrag Ihres Vaters und nicht Ihrer.“
    „Sie müssen es ja nicht weitersagen.“
    Hielt man sie also für eine Petze? Luisa suchte den Blick der Weberin. Mit der konnte sie nicht rechnen, denn die trocknete ihre Augen. Ein befremdlicher Anblick. Sie selbst hatte nicht mehr geweint, seit sie die kaufmännische Prüfung abgelegt und die Bestnote um zwei Prozent verfehlt hatte. Luisa ärgerte sich jetzt wie damals. Sie merkte nicht, dass sie die Hände zu Fäusten ballte. Die Welt war zu ihr nicht gerecht, weil sie eine Frau war.
    „Was soll ich mit den Tüchern machen? Mir den Arsch damit abwischen?“ Seine Stimme war jetzt ausgesucht scharf, aber nicht laut, und Luisa entging weder das Grinsen des Jungen am Tisch noch das Seufzen der Weberin vorn an der Haspel.
    „Sie werden die Servietten abgeben: zehn Stück, sobald die letzte fertig ist. Als Leerfahrt. Mein Vater wird sie nach Dresden nachliefern. Sein Ruf wird dann angekratzt sein, keine Frage. König Anton wird die Verspätung nicht billigen. Ganz zu schweigen von Ihren Verlegern Liebig & Co. Sehen Sie, wie viele Menschen da dran hängen?“
    Wieso war sie so streng? Sie waren doch willig! In ihren Lehrbüchern hatte nie auch nur ein Wort über willige Weber gestanden. Sie war verunsichert. Ihr Blick huschte zu Balthasar hinüber. Dem war das Grinsen vergangen. Mit vollem Mund saß er da und guckte, als getraute er sich nicht, den letzten Bissen hinunterzuschlucken, guckte, als bereute er, das Butterbrot aufgegessen zu haben. Was hatten sie heute gegessen?, überlegte Luisa. Es war Montag. Vor der Arbeit und weit vor dem Morgengrauen hatte es wohl Brotsuppe gegeben, zum Frühstück Butterschnitte, zum Mittag Kartoffeln mit Pelle und Hering, vielleicht zwischendurch noch eine Quarkschnitte und abends das, was vom Tage übrig geblieben war. Ja, sie ruinierte mit dem Urteil ihres Vaters eine achtköpfige Familie.
    Das war nicht ihre Angelegenheit! Luisa raffte ihren Rock und drückte sich am
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