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Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)

Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)

Titel: Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
Autoren: Ivonne Hübner
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Mann vorbei. Sie schritt rasch zur Tür, zog ihre Handschuhe über. Niemand hatte heraufbeschworen, dass Meister Weber krank wurde. Luisa hatte nichts dafür gekonnt, dass die Prüfer ihr als Frau nur achtundneunzig Prozent zutrauten! Und heute konnten die Weber nichts dafür, dass der Verleger Liebig und der Exporteur Treuentzien den Webern die Arbeitszeit auf genau diesen heutigen Tag bemessen hatten. Achtundneunzig Prozent eben.
    Ihre Hand lag schwer auf der Türklinke, aber sie schaffte es nicht, sie hinunterzudrücken. Sie atmete langsam aus. „Herr Weber?“
    Keine Antwort. Man wartete.
    „Haben Sie vielen Dank für den Tee.“ Sie starrte auf das Holz der Stubentür, es war gebeizt, aber deutlich zerfasert. „Bitte richten Sie Ihrem Vater meine Genesungswünsche aus.“
    Keine Reaktion von Caspar Weber.
    Die Klinke wollte dem Druck ihrer Hand nicht nachgeben. Sie scheuerte mit dem Daumen auf dem Eisen. „Und sagen Sie ihm bitte, dass ich morgen früh um halb fünf im Kontor auf ihn warten werde. Ich werde ihn dort mit zehn Damastservietten erwarten.“ Was tust du hier eigentlich?
    Keine Antwort. Sie drehte sich zu ihm um. Seine Augen – nachtblau, zu Schlitzen verengt. Misstrauen.
    „Haben Sie gehört?“
    Ein Nicken auf der Hut.
    „Richten Sie ihm auch aus, dass er sich von niemandem sehen lassen soll. Und sagen Sie vor allem den anderen Webern nichts!“
    Skepsis in seinen wundervollen Augen.
    „Halb fünf, nicht später, sonst verpassen Ihre Tücher die Kutsche nach Dresden. Das wäre schade nach all der Mühe!“
    Das Nachtblau erhellte sich, weil seine Lider sich entspannten. Caspar Weber straffte seine Haltung.
    „Dann werde ich Ihrem Vater auch den nächsten Auftrag aushändigen, Musterzeichnung et cetera ...“ Sie wandte sich ab und starrte noch einen Moment auf Spuren von grüner Farbe. Irgendwann war die Tür mal grün angestrichen gewesen. Was tat sie hier eigentlich. Bist du verrückt? Ihr Herz stolperte entsetzlich. Sie versetzte der Türklinke einen Ruck. Die senkte sich quietschend. „Guten Abend.“ Sie zog die Stubentür auf.
    „Danke.“
    Sie wirbelte herum, sah sein Dunkelblau blitzen. „Danken Sie mir nicht, sondern sorgen Sie dafür, dass die zehn Servietten im Kontor ankommen ... und die Musterzeichnung.“
     
    Die Musterzeichnung kam nicht in ihrem Kontor an, aber die zehn Servietten.
    Sie tat die halbe Nacht kein Auge zu, dämmerte weg, schreckte hoch aus Angst zu verschlafen. Und dachte immer wieder an seinen Gesichtsausdruck, als sie ihm erklärt hatte, dass der Auftrag als Leerfahrt abgenommen würde. Hingerichtet hatte er sie, verurteilt. Eissplitteraugen.
    Sie drehte sich auf die Seite, um aus dem Fenster zu schauen. Ludovike, mit der sie das Bett teilte, zerrte im Halbschlaf murrend an der Decke. Nichts als Schwärze sah Luisa durch die Scheiben. Der vierte Glockenschlag. Sie stieg aus dem Bett, auf der Hut, weder Josephine noch Ludovike, mit denen sie das Zimmer teilte, aufzuwecken. Haare zum Knoten gedreht, Hauskleid angezogen, eiskaltes Wasser ins Gesicht gespritzt, auf Zehenspitzen die Treppe hinab. Sie holte sich aus der Küche eine Handvoll Buttergebäck, das Bettine, die Magd, frisch zubereitet hatte, und lehnte dann die Haustür an, damit Meister Weber nicht anklopfen oder gar die Schelle ziehen musste. Im Kontor probierte sie alle Hocker und Stühle aus, knabberte ihre Plätzchen, lief Meilen im Quadrat. Sie war nervös und hatte Angst, dass jemand im Hause wach wurde. Punkt halb fünf Uhr hörte sie das Schlurfen von unförmigen Bundstiefeln im Schnee.
    Mit dem Rücken zum Raum stand sie an ihrem Schreibpult und kontrollierte zum hundertsten Male die vorbereiteten Utensilien und die Bücher. Ihre erste eigene Damastabnahme. Das war etwas anderes als Leinwand.
    Sie atmete tief durch, drehte sich um und zuckte zusammen. „Wo ist Ihr Vater?“ Ihre Stimme war ein Krächzen, weil sie nicht mit den Eissplitteraugen gerechnet und die Plätzchen ohne etwas zu trinken hinuntergewürgt hatte.
    „Im Bett. Ich hab ihn nicht herkommen lassen, weil er sich kaum rühren kann.“ Seine Stimme war vergraben unter einem flauschigen Schal aus dunkel gefärbter Schafswolle. „Also? Nehmen Sie’s von mir auch?“ Herausfordernd zuckten seine Unterlider.
    Sie wusste, dass er merkte, wie aufgeregt sie war. Tiefes Ausatmen, gepaart mit einem resignierenden Nicken, und schon machte sie sich ans Werk, ließ ihn die abgebäumte Ware auf dem Tisch ausbreiten. Zehn Servietten,
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