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Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)

Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)

Titel: Die Tuchhändlerin: Liebesroman aus der Zeit der Weberaufstände (German Edition)
Autoren: Ivonne Hübner
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hochzog.
    Jedenfalls kam der Weber nicht zum Antworten, denn ihr Vater sprach in mahnenden Worten: „Bei acht Kindern, Herr Wanger, und einem, das unterwegs ist, muss man gewissenhafter arbeiten!“
    Der Weber nickte und schaute das Münztürmchen vor sich auf dem Tisch an. Zwanzig übereinander gestapelte silbern glänzende Scheibchen – so viel Geld. Für die Exporteure nicht den Löffel wert, den sie zum Munde führten. Und mit einem Male, als fiele von einem Nadelgeäst schwerer Schnee, der die Zweige emporschnellen und den Baum sich zu voller Größe und Pracht entfalten ließ, begradigte der Weber seinen gebeugten Rücken, sog Luft durch seine pfeifenden Lungen und nahm so viele Münzen mit Daumen und Zeigefinger auf, dass drei davon liegen blieben.
    „Mmh, wer nicht will, der hat schon!“, sagte Luisas Vater, als der Weber das Büro längst verlassen hatte. „Und wo die Häusler Weber bleiben, möchte ich auch gern wissen.“
    Auch Luisa stellte sich diese Frage, aber Meister Friedrich Weber erschien nicht bis zum Mittag und auch nicht bis zur Vesper, und bevor es dunkel werden konnte, schlossen sie die Listen mit dickem Tintenstrich ab, verstauten die Auftragsbücher und machten sich auf den Weg entlang der Mandau ins Niederdorf.
    „Werfen wir die Münze, Vater.“ Luisa stapfte neben ihrem Vater her und konnte mit ihren von Leder besohlten und mit Lammfell gefütterten Stiefeletten kaum Schritt halten. Die eisige Luft tat gut, erfrischte die Sinne. Es roch nach Torffeuern und Neuschnee und sie hörten das Vieh hinter dunklen Bohlenwänden scharren, während sie durchs Dorf gingen. Einer von ihnen musste zum Verleger gehen, der andere zu Meister Weber. Der Verleger wartete auf die Listen, Meister Weber auf den Anraunzer wegen der versäumten Abgabe.
    Luisa klammerte sich an die Armbeuge ihres Vaters. Der hatte sehr schlechte Laune, weil seine Ware nicht vollständig war und weil ein Weber ihm die Stirn geboten hatte. Morgen in aller Herrgottsfrühe sollte die Ware nach Dresden gehen und Säumnisse waren nicht vorgesehen. „Wie ich das hasse! Es ist immer dasselbe mit denen! Ich bin für den Versand, den Export der Ware zuständig, nicht fürs Antreiben und Maßregeln. Ich bin der Expediteur, nicht das Kindermädchen.“
    „Glaub mir, Vater, die Weber haben keine Kindermädchen.“
    Vor ihnen scheute ein Brauereipferd, als sie vom Oberen Mandauweg vom Fluss weg auf die Hauptstraße bogen. Luisa glitt auf den rutschigen Ledersohlen aus und musste vom Vater aufgefangen werden, um nicht zu stürzen. Der Kutscher rief eine Entschuldigung über seine Schulter. Er hatte zu tun, das Pferd im Zaum zu halten. Ihr Vater murmelte wütend: „Die Wege vom Eise befreien tun die nicht. Weben tun die nicht! Was tun die überhaupt? Ich hasse es, zu ihnen gehen zu müssen wie ein Bittsteller.“
    „So lass uns doch die Münze werfen.“
    Seine Lachfältchen erwärmten sie. Er griff in seine Manteltasche und förderte einen Dreikreuzer zutage. „Wappen oder Zahl, Luisa? Wappen heißt Liebig, Zahl heißt Familie Weber.“
    „Zahl.“
    „So, so.“ Ein interessierter Augenaufschlag seitens des Vaters. Sie liebte kleine Spielchen. Dann schnippte er die Münze und kippte sie auf den Handrücken. Sehr ernst schaute er auf die fette Drei und seufzte. „Na schön, Luisa, aber dass du mir alles richtig machst.“
    Luisa nickte, atmete tief durch und hörte sich die guten Ratschläge an, die er ihr mit auf den Weg gab. Dann stand sie allein auf der Weggabelung ins Niederdorf.
    Es war ihr erstes Mal. Zum ersten Mal ging sie Schulden eintreiben. Sie war aufgeregt, aber immerhin war sie Exporteurin, sie war fertig mit der Expedientenschule. Sie war bereit. Und ihr Vater schien jetzt sichtlich erleichtert, dass er nicht zu den Webern nach Hause gehen musste. Ihr Vater hasste es, hasste alles, was über sein Büro hinausging. Luisa würde ihre Sache gut machen.
    Aber als sie dann in der Blockstube der Familie Weber stand, schwand ihre Zuversicht. In der Realität verhielten sich die Weber nämlich anders als in den Lehrbüchern.
    Der ranzige Geruch von gequirltem Gänsefett, gemischt mit dem Duft nach Minze und Salbei, schlug ihr entgegen. Die Augengläser ihres Vaters wären in der Hitze sicher beschlagen und er hätte keine sehr pittoreske Erscheinung abgegeben, wäre er jetzt hier und müsste seine Gläser erst wischen, um den Durchblick zu bekommen. Er war aber nicht da, sondern sie. Allein. Aufgeregt in einer Weberstube,
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