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Die Trolle

Die Trolle

Titel: Die Trolle
Autoren: Christoph Hardebusch
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»Er weiß, was er tut. Wenn es jemand schafft, dann Sten. Die Krieger unseres Volkes würden ihm überallhin folgen.«
    »So wie dir«, erwiderte Viçinia und sah ihre Schwester an. »Die Wlachaken können froh und stolz sein, dass du uns führst.«
    »Dieses Erbe ist mir zugefallen, und ich versuche stets, mich ihm würdig zu erweisen. Aber …« Ionnas Stimme verlor sich in dem allgegenwärtigen Lärm.
    »Du bist würdig, Ionna, du hast uns durch dunkle Zeiten geführt, und unser Volk vertraut dir.«
    Für einen Augenblick lächelte ihre Schwester, aber dann verhärtete sich ihre Miene. Mit einem Mal waren die Unsicherheit und die Sorge aus Ionnas Antlitz verschwunden.
    »Zorpad ahnt nicht, was er angerichtet hat«, sagte sie. »Er wähnt sich schon als Sieger der Schlacht und sieht sich in seinem Geiste als König gekrönt. Er glaubt, dass es sein Recht ist, und versteht nicht, dass man sich diese Krone verdienen muss!«
    Verwundert sah Viçinia Ionna an.
    »Unser Volk wird immer gegen den Tyrannen kämpfen«, fuhr Ionna fort. »Er hat uns gejagt, getötet, wie Tiere behandelt, doch unseren Willen hat er nicht gebrochen. In den Feuern, mit denen er unser Land überzog, sind Klingen geschmiedet worden, Kämpfer wie Sten und all die anderen, die dort unten ihr Blut für unseren Traum von Freiheit vergießen. Wie kann Zorpad glauben, dass er diesen Willen, ja, dieses Volk jemals endgültig besiegen kann?«
    »Denkst du das wirklich?«, fragte Viçinia.
    »Ja. Wir sind alle nur Kerzen, die kurze Zeit in der Dunkelheit brennen. Zorpad ist überzeugt, dass sein Licht wichtiger ist als das aller anderen, dass er jeden auslöschen muss, um als Einziger zu erstrahlen. Aber am Ende kommt es nur darauf an, wie viele Leben anderer Menschen man erhellt. In hundert Jahren wird Zorpad vergessen sein, und sein Name wird nur mehr in staubigen alten Büchern stehen. An Sten jedoch werden die Menschen sich erinnern, seinen Namen werden sie in Liedern besingen! Er ist ein guter Mann, Schwester. Ich wäre froh darüber, wenn wir eine Familie würden.«
    Staunend blickte Viçinia ihre Schwester an. Sie strahlte eine geradezu überirdische Ruhe aus, die Viçinia tief im Herzen berührte. Wo sie vorher Verzweiflung und Angst gespürt hatte, waren jetzt Zuversicht und Hoffnung.
    Sie hat Recht, dachte Viçinia, und in diesem Augenblick erlosch das Licht des Albus Sunas.
    Ein Brüllen erschallte, als die Trolle erwachten und sich erhoben, schwarze Gestalten in der nur noch von Fackeln erhellten Masse der Wlachaken, riesige, urzeitliche Ungetüme, deren Schreie von Blutdurst kündeten und die einem das Blut in den Adern gefrieren ließen.
    Wie eine Lawine brachen sie über die Zwerge herein, und selbst in dem Getümmel der Schlacht konnte Viçinia sehen, wie die Linien des Kleinen Volkes schon im ersten Ansturm brachen. Die Wlachaken stürmten in die Lücken, welche die Trolle rissen und schlugen, und die mannigfaltigen Schreie kündeten vom Blutzoll, den alle entrichteten.
    Vom Hügel, auf dem Zorpads Lager lag, ertönten Hörner, und Viçinia erblickte die Reiterei des Marczegs, die mit voller Wucht den Hang hinabstürmte.
    »Neagas!«, rief Ionna unvermittelt. »Wir reiten!«
    An ihre Schwester gewandt, sagte die Fürstin leise: »Nun ist der Zeitpunkt gekommen. Zorpad setzt die letzten Reserven ein, um den Durchbruch zu erzielen, und wir stoßen in seine Schwachstellen vor.«
    »Viel Glück, Schwester. Sichere Wege«, antwortete Viçinia gepresst.
    »Dir auch viel Glück. Unser Geschick liegt nun in deinen Händen. Ich bin stolz auf dich und war es stets.«
    Mit diesen Worten riss Ionna ihr Streitross herum und ergriff die Lanze, die ihr ein Krieger reichte. Mit einer schnellen Bewegung setzte sie den Helm auf und gab dem Pferd die Sporen, während sich die Reiter der Wlachaken, geführt von Neagas, hinter ihr einreihten und ihr folgten. Das Banner mit dem Raben flatterte stolz im Wind, und für einen Augenblick hatte Viçinia das Gefühl, dass sie ihre Schwester niemals wiedersehen würde. Dann aber biss sie die Zähne zusammen und sah wieder hinab in die Senke, wo Zorpads schwere Reiterei gnadenlos durch die flüchtenden hinteren Ränge seines eigenen Heeres brach und auf die Trolle zuhielt. Atemlos verfolgte Viçinia den Ritt der Masriden, die mit gesenkten Lanzen durch die kümmerlichen Reste der Zwergenkrieger stießen und nun auf die Trolle prallten. Es war eine Flutwelle, ein unbändiger Sturm, eine breite Linie des Todes, die
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