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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums
Autoren: Anne de Witt
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sich ließen und die Anne-Kathrin ihren Bug dem endlosen blauen Ozean zuwandte. Anna Lisa stand an der Reling und atmete tief die frische, salzige Luft ein. Es tat gut, nur Wasser und Horizont zu sehen und hier und da ein anderes Schiff, das gemächlich die Wellen durchpflügte. Neben ihr stand Gesine. Die war jetzt ihre ständige Gesellschaft, und sie war bester Laune, dass sie in einer so guten Stellung nach Deutschland zurückkehren durfte – Java war ihr doch nie ganz geheuer gewesen. Auch Simeon genoss diesen Teil der Reise. Er kam immer öfter freiwillig an Deck, von Pahti und Tietjens begleitet; dann legte er sich dort in einen der Deckstühle und blickte zufrieden ins Leere.
    Der Schiffsarzt sah es mit Wohlgefallen. »Für solche Patienten«, sagte Dr. Lutter, »ist Monotonie, ja, Langeweile eine Labsal. Wo Sie und ich schon die Wände hochgehen, weil Tag für Tag nichts passiert, sind sie glücklich.«
    Er machte vorsichtige Versuche, gesprächsweise aus Simeon herauszuholen, woraus seine geheimnisvolle Arznei bestand, aber der wusste es entweder wirklich nicht oder wollte es nicht sagen. Branntwein, Kampfer und Ingwer könne er herausschmecken, was sonst noch drinnen sei, hätte Dr. Liao ihm niemals verraten. Wozu auch? Das Elixier, das der chinesische Arzt ihm in ausreichenden Mengen auch nach Deutschland nachsenden wollte, wirkte ausgezeichnet – mehr interessierte ihn nicht. Wenn Dr. Lutter es wissen wolle, könne er ja bei seinem nächsten Besuch in Batavia der Kräuterhandlung einen Besuch abstatten.
    »Oh, Sie wissen genau, dass er mir nichts sagen würde!«, protestierte der Schiffsarzt. »Ihre Kenntnisse müssen ihn tief beeindruckt haben, dass er überhaupt mit Ihnen gesprochen hat; die Chinesen sind verschlossen wie die Austern, wenn es um Kontakte mit Europäern oder auch den Einheimischen geht. Und dabei sind Sie Amateur!«
    Simeon antwortete mit einem Lächeln. »Gewiss, aber einer, der sich seit seinem sechsten Lebensjahr für nichts anderes interessiert hat als Botanik. Wenn man sich vierundzwanzig Stunden am Tag mit einer Sache leidenschaftlich beschäftigt, macht das ein Universitätsstudium wett. Und warten Sie nur ab! Jetzt bin ich ein freier und ein sehr reicher Mann, jetzt kann mich nichts mehr hindern … außer meiner Krankheit«, fügte er dann mit einem Seufzer hinzu. »Gott verfluche das Teufelsweib, das mir das angetan hat!« Unmittelbar darauf sagte er: »Wissen Sie, dass meine Tochter jetzt schon anfängt, Interesse für Blumen zu zeigen? Alle kleinen Mädchen pflücken Blumen, das stimmt, aber sie pflückt sie nicht, um sich damit zu schmücken, sondern um sie zu erkennen; sie bringt sie mir und nennt mir die Farben: Blume blau, Blume rot, Blume gelb. Sie hat meine Leidenschaft geerbt, das wird man bald sehen. – Was ich an Java wirklich vermissen werde, ist seine Flora. Schön, unfassbar schön … Adam im Garten Eden hat keine herrlicheren Gewächse gesehen.«
    Manchmal kam es vor, dass er mitten in einem solchen Gespräch verstummte, den Kopf an die Lehne des Deckstuhls sinken ließ und in einen bleiernen Schlaf sank. Aber wenigstens suchten ihn die Halluzinationen während der ganzen Seereise nicht mehr heim. Dr. Lutter machte Anna Lisa Hoffnung, dass ein ruhiges, geborgenes Leben zusammen mit dem kühlen, ausgewogenen Klima Norddeutschlands sein Leiden mit der Zeit bessern würde.
    »Die Tropen sind faszinierend schön, da kann ich ihm nur recht geben«, sagte er, als er neben der jungen Frau an der Reling stand und aufs Meer hinausblickte. »Aber sie sind kein Aufenthaltsort für einen körperlich oder psychisch kranken Menschen. Dort muss man robust wie ein Wasserbüffel sein, um gesund zu bleiben.«
    »Dann bin ich ein Wasserbüffel«, antwortete sie. »Ich bin die ganze Zeit nicht krank gewesen, von ein paar Schwindelanfällen und einem gelegentlichen Sonnenbrand abgesehen.«
    »Das mag sein, aber damit endet die Ähnlichkeit auch schon.«
    Sie lachten beide. Anna Lisa fühlte sich froh und leicht in seiner Gegenwart. Sie wusste Simeon in guten Händen, und sie wusste, dass sie selbst einen treuen Freund hatte, obwohl die Distanz zwischen ihnen immer gewahrt blieb. Schade, dachte sie, dass sie ihn nach ihrer Ankunft in Deutschland nicht mehr wiedersehen würde – oder jedenfalls nur mehr sehr selten, denn die langen Reisen wurden nur durch kurze Aufenthalte in seinem Heimatland unterbrochen.
    »Im Ernst!«, sagte er. »Als ich Sie auf Ihrer
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