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Die Traenen des Mangrovenbaums

Die Traenen des Mangrovenbaums

Titel: Die Traenen des Mangrovenbaums
Autoren: Anne de Witt
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Wirkung der Giftpflanze kannte, hatte er wohl nicht erwartet, dass es so schlimm sein würde. Aber er fasste sich rasch wieder und begrüßte den Kranken als alten Bekannten.
    Simeon zeigte sich argwöhnisch; er wurde geradezu feindselig, als der Arzt ihn nach seinen Medikamenten fragte, und bemerkte, er sei mit Dr. Liaos Arzneien vollkommen zufrieden und brauche keinen anderen Arzt. Dr. Lutter, der als Schiffsarzt reichlich Erfahrungen mit aufsässigen Patienten gemacht hatte, widersprach nicht; er fragte nur, ob es sich um denselben Dr. Liao handle, der in ganz Batavia, weit über den Glodok hinaus, für seine Fähigkeiten berühmt sei.
    Simeon nickte. Die Anspannung in seinem Körper ließ nach. »Ja. Die europäischen Ärzte verachten oft die Chinesen, sie betrachten sie als Scharlatane und Quacksalber, aber ohne seine Hilfe wäre ich längst unter der Erde.«
    »Er muss ein sehr fähiger Arzt sein, wenn es ihm gelungen ist, Sie vor Rangdas Zunge zu retten; üblicherweise gibt es gegen das Gift keine Hilfe.«
    »Den Europäern ist keine bekannt, das stimmt!«, kommentierte Simeon mit boshafter Befriedigung. Aber die Anerkennung, die seinem Retter zuteilwurde, stimmte ihn milde; er ließ sich auf ein Gespräch mit Dr. Lutter ein und zeigte sich willig, als dieser ihm riet, seine Kabine nicht zu verlassen, ehe sie nicht den Indischen Ozean erreicht hatten.
    »Der Staub und die Gase der Explosion vergiften immer noch die Atmosphäre, und es fehlte gerade noch, dass Sie sich eine weitere Krankheit zuziehen, wenn Sie das Zeug in die Lunge bekommen. Auch Ihre Kinder sollten Sie bis dahin nicht an Deck lassen. Wenn wir auf dem offenen Meer sind, ist alles wieder in Ordnung; Sie werden dann sehen, wie gut Ihnen die Seereise tut.« Dann fragte er: »Erlauben Sie, dass ich meinen seinerzeitigen Dienst wiederhole und Ihrer Gattin beim Essen Gesellschaft leiste?«
    »Tun Sie das. Ich vertraue sie Ihnen an.«
    So kam es, dass Anna Lisa, als die Anne-Kathrin den Hafen von Batavia verließ, wieder mit Dr. Max Lutter von Lohenburg am Mittagstisch saß.
    »Ist es nicht seltsam, wie sich manche Dinge wiederholen?«, sagte sie. »Auch damals war mein Mann krank, und ich fühlte mich so verloren …«
    »Aber einiges hat sich auch geändert. Sie haben zwei Kinder.«
    Anna Lisa errötete leicht, aber dann lachte sie, wobei sie die Serviette diskret vor den Mund drückte. »Ja, dieses Problem hat sich erledigt. Wir sind ein sehr zufriedenes Ehepaar. Wenn es ihm gut geht …« Ihr Gesicht wurde ernst. »Dr. Lutter, glauben Sie, dass ihm das chinesische Medikament wirklich hilft, oder wirkt es nur, weil er so fest darauf vertraut?«
    »Auch im letzteren Fall würde es helfen, nicht wahr? Aber ich denke, dieser Chinese kann wirklich mehr als Wasser kochen; ich habe noch von keinem Europäer gehört, dass es ihm gelungen wäre, einen mit Rangdas Zunge Vergifteten zu retten. Wie ist es überhaupt dazu gekommen?«
    Die junge Frau erzählte. Sie saßen nach dem Essen noch lange beisammen, und Dr. Lutter hörte von der typhusverseuchten Plantage, von Godfrid Brägens’ Ankunft und seinem Tod durch die Hand seiner eigenen Mutter, von Madame Lafayettes Selbstmord, dem Tod des alten Vanderheyden und der reichen Erbschaft. Aber er hörte nichts über Herrn Raharjo. Die Vanderheydens hatten das Sommerhaus eines reichen Javaners gemietet, das war alles, was er erfuhr. Die Erinnerung an den schönen Verführer war so tief in Anna Lisas Herzen verschlossen, dass sie Dritten gegenüber nicht einmal mehr seinen Namen erwähnte.
    Später gingen sie kurz an Deck, und Anna Lisa verstand, warum Dr. Lutter Simeon den Anblick der Sundastraße ersparen wollte. Obwohl bereits alle Kräfte eingesetzt worden waren, die Schifffahrtsrinne zu säubern, dümpelten immer noch Wracks auf dem Wasser, lagen übereinandergetürmt in der schlammigen Wüste, die einst eine blühende Küstenlandschaft gewesen war. Ungeheure Mengen von Bimsstein trieben nach wie vor auf dem Wasser. Entlang der Meerenge zog sich bis zu einer Höhe von etwa vierzig Metern ein grauer Schlickstreifen dahin, wo die Flut Reisfelder und blühende Plantagen verschlungen hatte. Kein einziges Gebäude stand mehr in Anjer, Tjaringin, Merak, Telukbetung, Ketimbang und anderen Städten, die Villen der Reichen, die Hotels und Geschäftshäuser waren ebenso spurlos ausgelöscht wie die zerbrechlichen Marktstände am Kai.
    Es war eine immense Erleichterung, als die Reisenden die Inseln hinter
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