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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin
Autoren: Sabine Martin
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Herr. Ich habe es noch nicht gewagt, doch ich bin mir sicher, dass es gelungen ist.«
    Von Säckingen wickelte das Schwert aus und hielt einen Moment inne. Wie lebendiges Feuer leuchteten die feinen Wellen des hundertfach gefalteten Stahls. Kein Zweifel, diese Klinge lobte ihren Schöpfer. Dieser Nicklas war ein Teufelskerl, und ihm allein gebührte es zu prüfen, ob sein Werk nicht nur von erlesener Schönheit war, sondern auch als Waffe seinen Herrn beschützen konnte. Von Säckingen hielt Nicklas die Klinge vor die Nase. »Nimm es! Du sollst den ersten Schlag damit führen.«
    Nicklas wich erschrocken zurück. »Ich … ich kann nicht, Herr.«
    »Du kannst«, grollte von Säckingen.
    »Verzeiht«, flüsterte Nicklas. »Ich wollte nicht ungehorsam sein. Wenn Ihr es wünscht, werde ich die Klinge prüfen.« Er nahm das Schwert, stellte sich breitbeinig vor den Eichenklotz, der neben dem Eingang zur Schmiede stand. Er war hart wie Granit und förderte jeden Fehler einer Klinge erbarmungslos zutage.
    »Und wag es nicht, mit halber Kraft zuzuschlagen!«
    »Sehr wohl.« Nicklas hob das Schwert über den Kopf, ließ es über die linke Schulter sinken, dann drehte er sich in der Hüfte, vollführte eine Kreisbewegung und rammte die Klinge in das Holz.
    Von Säckingen entfuhr ein Laut der Überraschung. Unfassbar! Die Klinge steckte zwei Fingerbreit in dem steinharten Block. Er hatte damit gerechnet, dass sie einen halben Fingerbreit eindringen würde, und selbst das wäre schon beachtlich gewesen.
    Mit einer Verbeugung trat Nicklas zurück.
    Von Säckingen packte den Griff, der aus Nussholz gefertigt und mit feinen Rillen durchzogen war, die für die nötige Griffigkeit sorgten. Er zog, stellte ein Bein auf den Block und zog wieder. Nichts geschah. Das Schwert steckte fest.
    Eine leise Stimme drang von Säckingen ans Ohr. »Würde er seine Manneskraft nicht im Turm vergeuden, würde er auch das Schwert aus dem Block bekommen.«
    Er fuhr herum, doch niemand war zu sehen. Der feige Spötter hatte sich versteckt. Von Säckingen wandte sich wieder dem Schwert zu. Mit all seiner Kraft riss er die Klinge aus dem Block. Sollten die Spötter an ihrer eigenen Häme ersticken! Er holte tief Luft. »Nicklas!«, rief er lauter, als er es gewollt hatte. Der Junge zuckte zusammen. »Komm her und schau mich an!«
    Von Säckingen blickte dem Jungen direkt in die Augen und sah dort das gleiche Feuer, das auch in Ottmar de Bruce’ Augen gelodert hatte. Die gleiche Leidenschaft, jedoch nicht die gleiche Selbstsucht. Nicklas war kein Zerstörer, sondern ein Schöpfer mit einer reinen Seele. Und genau diese reine Seele sollte das Schwert vollkommen machen. »Dieses Schwert ist noch nicht fertig«, sagte von Säckingen.
    Nicklas erbleichte.
    »Dein Zeichen fehlt.«
    Schweiß trat auf die Stirn des Jungen. »Herr, ich darf nicht … Ich kann nicht …«
    Von Säckingen winkte ab. »Du bist nur Geselle, ich weiß, und daher nicht berechtigt, dein Zeichen einzugravieren. Aber ich bin dein Herr. Wem bist du verpflichtet?«
    »Euch selbstverständlich, Herr.«
    »Du wirst dieses Schwert also mit deinem Zeichen vollenden, und wenn jemand Anstoß daran nehmen sollte, dann darf er sich vertrauensvoll an mich wenden. Ich werde ihm mit dieser wunderbaren Waffe zeigen, dass du bereits ein Meister deiner Kunst bist, der seinesgleichen sucht.«
    Nicklas lief feuerrot an. »Wie Ihr wünscht Herr. Ihr könnt morgen …«
    »Morgen? Jetzt, vor meinen Augen. Und lass dir Zeit.«
    »Sehr wohl, Herr.« Nicklas stolperte in seine Werkstatt, griff sich seine feinen Stahlmeißel und einen Schemel, ließ sich vor von Säckingen nieder und stemmte mit leichten Schlägen das Jahr und seinen Namen in die Klinge, direkt unterhalb der Parierstange. Das dauerte nicht lange. Für sein Zeichen aber benötigte er so lange, dass die Sonne schon rot glühend hinter den Bergen versank, als es endlich vollendet war.
    Von Säckingen hielt es sich dicht vor die Augen. Es war eine Schlange, die mit sich selbst kreisförmig verflochten war und die in ihrem Maul statt zweier Giftzähne Schwerter trug. Er kam nicht umhin, Nicklas für sein Geschick zu bewundern. Seinen Pranken wollte man eine so feine Arbeit gar nicht zutrauen, die jeden Goldschmied begeistert hätte. Er reichte das Schwert zurück.
    Nicklas polierte die gravierten Stellen mit feinem Sand, ölte die Klinge noch einmal und reichte sie schließlich von Säckingen. »Möge dieses Schwert Euch in jedem Kampf
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