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Die Tränen der Henkerin

Die Tränen der Henkerin

Titel: Die Tränen der Henkerin
Autoren: Sabine Martin
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beschützen.«
    Von Säckingen lächelte, nahm es, und drückte Nicklas einen Kreuzer in die schwielige Hand. »Du hast auf jeden Fall alles dafür getan.«
***
    Melisande hörte die Glocken und schrak zusammen. Geschwind stieg sie hinauf in den kleinen Lagerraum neben den Schlafkammern für die Mägde und Knechte und schob eine Schindel zur Seite. Obwohl die Straße ein ganzes Stück unter ihr lag, hatte sie von hier einen guten Blick auf die Neuankömmlinge. Mit klopfendem Herzen musterte Melisande jeden der Reisenden: die Händler, die schwer bewaffneten Söldner und sogar die Knechte. Wenn Fremde in die Stadt kamen, versteckte sie sich immer, bis sie sicher war, dass niemand dabei war, der sie erkennen könnte. Niemand, der sich an Melisande Wilhelmis erinnern könnte, an Melchior, den stummen Henker, oder an Mechthild, die Magd.
    Die Wagen zogen einer nach dem anderen vorbei, lediglich die mit den Weinfässern hielten vor dem Haus. Ein junger Mann sprang vom Bock des ersten Gespannes. »Grüßt Euch, Meister Füger. Wo wollt Ihr Eure Fässer haben?«
    »Wollt Ihr Euch nicht vor dem Abladen bei einem kühlen Becher Wein und einem anständigen Stück ofenwarmem Brot von der Reise erholen?«, fragte Wendel.
    Ein Lächeln glitt über Melisandes Gesicht. Sie liebte ihn dafür, dass er immer zuerst an die Menschen dachte und dann ans Geschäft.
    Der Fuhrmann nahm dankend an. Wendel ließ auch den anderen Männern eine Stärkung reichen, und so standen sie eine Weile kauend und plaudernd vor dem Haus. Auf einmal schlug sich der Fuhrmann an die Stirn. »Fast hätte ich es vergessen, Meister Füger«, sagte er und schluckte einen Bissen hinunter. »Mit uns ist Johann Hartkopf, der Ältere, gereist. Er ist Ratsherr in Augsburg und hat eine Frage an Euch.«
    Melisande gefror das Blut in den Adern. Ein Augsburger Ratsherr, der mit Sicherheit Merten de Willms gekannt haben musste! Den echten Merten de Willms. Den Mann, der vor mehr als zwei Jahren Opfer eines Überfalls geworden war, als er mit einem ähnlichen Händlerzug gereist war. Melisande hatte einigen Männern das Leben gerettet, doch für Merten de Willms war jede Hilfe zu spät gekommen. Jetzt rächte sich ihr Frevel, einen toten Mann beraubt, ihm all seine Dokumente und das Schwert genommen zu haben. Sicherlich würden Wendel und der Fremde ins Gespräch kommen; Wendel würde erfahren, dass Merten niemals eine Schwester namens Melissa gehabt hatte. Und dann würde er nachforschen und auch den Rest herausfinden. Herausfinden, dass er, Wendel Füger, der Sohn des ehrbaren Karchers Erhard Füger aus Reutlingen, mit dem Henker von Esslingen verheiratet war.
    Melisandes Atem ging schneller. Man würde sie in den Kerker werfen und ihre kleine Tochter, die Brut der Henkerin, ebenfalls. Das durfte nicht geschehen! Ihr blieb nur eine Möglichkeit. Sie musste Gertrud nehmen und fliehen. Ihr wurde schwindelig, sie wankte, krallte sich an einem Dachbalken fest. Kühler Abendwind strich ihr über das Gesicht. Halt ein, sagte sie sich. Nichts überstürzen! Du darfst nicht jedes Mal den Kopf verlieren, wenn so etwas geschieht! Spitz die Ohren, pass auf, was der Fremde aus Augsburg mit Wendel zu besprechen hat, vielleicht ist deine Angst unbegründet.
    Gerade als sie wieder hinausblickte, hörte sie den Fuhrmann sagen: »Ich gehe den Johann Hartkopf holen, Meister Füger. Ich bin sofort zurück.«
    Der Fuhrmann lief die Straße hinunter in Richtung Rindermarkt. Wendel gab den Knechten Anweisungen, wie sie die Weinfässer abzuladen und in den Keller zu verfrachten hatten. Und kaum war das erste Fass in der Luke neben dem Hauseingang verschwunden, da kehrte der Fuhrmann bereits zurück, im Schlepptau einen wohlgenährten grauhaarigen Herrn in prachtvoller Reisekleidung.
    Melisande hielt die Luft an. Alles schien sich zu verlangsamen. Selbst ihr Herz schien langsamer zu schlagen, und die Worte, die die Männer sprachen, verzerrten sich in ihren Ohren zu seltsamen Lauten, deren Sinn sie nicht verstand.
    Wendel hielt dem Augsburger die Hand hin, der Mann schlug ein, lächelte. Wendel sagte etwas, der Mann hob abwehrend die Hände und schaute direkt zu Melisande hoch. Er konnte sie nicht sehen, das war unmöglich, dennoch fuhr sie erschrocken zurück und stieß sich den Kopf am Gebälk. Der schmerzhafte Aufprall riss Melisande aus ihrer Betäubung.
    »Aber natürlich, mein Herr«, sagte Wendel. »Ich kann Euch wärmstens die Herberge meines Vaters empfehlen. Es ist ohne Übertreibung
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