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Die Toteninsel

Die Toteninsel

Titel: Die Toteninsel
Autoren: Hubert Haensel
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erforderliche Geschick aufbrachten, und die bereits während der Auseinandersetzungen am Crusenriff bewiesen hatten, daß sie mit Dolchen und Schwertern umzugehen verstanden. Bei den anderen mußte man dafür um so mehr Geduld aufwenden.
    »Sieh da«, ließ Gerrek vernehmen, als Tertish mit ihrem Schützling und einem leichten Übungsbogen erschien. »Wieder ein neuer. Zeig, was du kannst.«
    Die Amazone warf ihm einen verweisenden Blick zu.
    »Wenn dir die Zeit zu lang wird«, schlug sie vor, »geh und säubere die Waffenkammern.«
    Der Beuteldrache rümpfte die Nüstern, seine Miene verdunkelte sich schlagartig. Tertish widmete ihre Aufmerksamkeit dem jungen Rohnen, der den Bogen beinahe wie einen Dreschflegel hielt.
    Als der Rohne nach ellenlangen Belehrungen endlich wußte, wie der Bogen zu halten und die Sehne zu spannen war, schien Tertish mit ihrer Geduld am Ende. Sie stand schräg hinter ihm und führte seine Hand, und es war offensichtlich, daß sie dabei fest zupackte, denn der Mann ging unwillkürlich in die Knie. Trotzdem traf sein Pfeil nur den Rand einer knapp zehn Schritt entfernten Scheibe.
    »Ein Prachtschuß«, bemerkte Gerrek. »Angreifende Shrouks würden vor Lachen zusammenbrechen.«
    »Wenn du es so gut weißt, bitte…« Ehe der verdutzte Beuteldrache recht begriff, was geschah, hatte Tertish ihm den Bogen in die Hand gedrückt und entfernte sich.
    »He«, rief er hinterher. »Was soll das?«
    Sie wandte sich nur kurz um.
    »Du bist der geeignete Mann, um die Ausbildung fortzuführen. Ich werde anderswo dringender gebraucht.«
    Zwei Rauchwolken der Empörung stiegen aus Gerreks Nüstern auf. Durchdringend musterte er den Rohnen, der ihn erwartungsvoll ansah.
    »Wie heißt du?«
    »Gruuhd, Gerrek.«
    Der Beuteldrache nickte überrascht.
    »Zumindest kennst du meinen Namen. Das ist gut. Man sollte alle großen und tapferen Krieger kennen. Welche Waffen beherrschst du?«
    »Nur das Messer.«
    »Damit kannst du vielleicht einen Braten zerteilen, aber du wirst die Jagdbeute niemals selbst zur Strecke bringen.« Gerrek schien sich in seiner Rolle als Ausbilder allmählich zu gefallen. »Sieh her. Erst wenn du den Pfeil treffsicher ins Ziel lenkst, bist du ein Meister.«
    Er hatte sich halb umgewandt und hielt den Bogen so, daß er die Scheibe, auf die er zielte, nicht sehen konnte. Um seine Nüstern begann es zu zucken, seine Finger verkrampften sich um den gefiederten Schaft des Pfeils. Leider erst zu spät war ihm klargeworden, daß auch andere zusahen. Huuk und Soot würden ihn zum Gespött aller Carlumer machen, wenn er jetzt fehlte.
    »Was ist?« fragte der Rohne zu allem Überfluß. »Wieso zögerst du?«
    »Konzentration«, belehrte Gerrek ihn, »ist das A und O beim Bogenschießen. Du mußt eins werden mit dem Ziel, mit jeder Faser deines Körpers mit ihm verschmelzen.«
    »Auch im Kampf und auf der Jagd?«
    »Nein, natürlich nicht«, sagte der Beuteldrache in väterlichem Tonfall. Im selben Moment rutschte ihm der Pfeil durch die verkrampften Finger. Die zurückschnellende Sehne schürfte seinen linken Unterarm auf. Ein hölzernes Geräusch verriet ihm, daß er irgend etwas getroffen hatte, aber gerade deshalb wagte er nicht, sich umzuwenden. Gleich würden die Wälsen in spöttisches Gelächter ausbrechen. Er hatte nie vorgehabt, wirklich nach rückwärts zu schießen, und er schalt sich einen Narren, daß er sich dazu überhaupt hatte hinreißen lassen, nur um Eindruck auf den Rohnen zu machen.
    »Jetzt verstehe ich, was du meinst. Diesen Schuß macht dir so schnell so keiner nach.«
    Tief holte Gerrek Luft und hielt den Atem an; seine Glubschaugen quollen weit aus ihren Höhlen hervor. Den Spott hatte er sich selbst zuzuschreiben. Hätte er lieber gezeigt, wie mit dem Kurzschwert umzugehen war.
    Soot nickte ihm anerkennend zu.
    Zögernd und auf alles gefaßt, wandte Gerrek sich um. Er glaubte, seinen Augen nicht mehr trauen zu dürfen, als er den Pfeil entdeckte, der höchstens zwei Fingerbreit neben dem Zentrum der Scheibe stak.
    Die Erkenntnis, daß das Schicksal es gnädig mit ihm meinte, ließ ihn erleichtert aufatmen. Irgendwann, das war ihm klar, würde er einen zweiten Versuch wagen – aber dann, wenn niemand zusah.
    Gruuhd nahm den Bogen und legte einen weiteren Pfeil auf die Sehne.
    Nicht gerade, daß er sich mit dem Schaftende das Auge aussticht, dachte Gerrek, als der Rohne mit übertriebener Genauigkeit zielte. Trotzdem ging der Schuß um gut zwei Mannslängen fehl, und das
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