Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Toteninsel

Die Toteninsel

Titel: Die Toteninsel
Autoren: Hubert Haensel
Vom Netzwerk:
auf die geradezu lächerliche Distanz von rund fünfzehn Schritt.
    Gruuhd kratzte sich ausgiebig, erst am Hinterkopf, dann zwischen den Schulterblättern.
    Zum erstenmal seit Tagen zog eine düstere Wolkenfront am Horizont herauf. Ein violetter Schimmer machte es schwer, Entfernungen abzuschätzen.
    Prüfend sog Gerrek die Luft ein, dann rümpfte er die Nüstern.
    »Riechst du nichts?« fragte er.
    Der Rohne zuckte nur mit den Schultern.
    »Vermutlich der Schwefelgeruch eines Gewitters«, gab der Beuteldrache sich selbst Antwort.
    »Ich begreife es nicht«, sagte Gruuhd.
    »Was? Daß ein Gewitter mit Schwefel…«
    »Nein. Wie ich den Bogen spannen muß, um das Ziel zu treffen.«
    Gerrek seufzte, dann schickte er sich an, den Rohnen so zurechtzurücken, wie er es als richtig empfand.
    »Zunächst einmal solltest du die Beine weiter auseinander nehmen, weil du sonst keinen sicheren Halt bekommst. Ja, so ungefähr. Und dann den Oberkörper aufrecht halten. Du darfst nicht den Bogen anstarren, sondern mußt den Blick auf die Scheibe richten.« Er unterbrach sich, schnupperte… »Ich weiß nicht, ein Gewitter kann das nicht sein.«
    Gruuhd kratzte sich. Auch Gerrek verspürte einen stärker werdenden Juckreiz.
    »He«, machte er überrascht, »hat man euch Rohnen nicht gründlich abgeschrubbt?«
    »Wozu kostbares Wasser vergeuden?«
    Das war zwar eine Einstellung, die in der Schattenzone Gültigkeit haben mochte, keineswegs aber anderswo. Gerrek jedenfalls war nicht gewillt, sich die Krätze zu holen.
    Kommandos hallten über Deck. Nacheinander wurden die Schleppsegel entfaltet. Knatternd blähten sie sich in dem heraufziehenden Sturm. Die Wolkenwand erstreckte sich inzwischen über das halbe Firmament.
    »Geh noch zwei Schritte zurück«, befahl Gerrek dem Rohnen. »Am besten stellst du dich auf den Brunnenrand, denn dann lernst du die richtige Körperbeherrschung – und jetzt spanne die Sehne. Nicht so weit nach vorne beugen, mehr den Kopf zurück…«
    Eine scheinbar unbeabsichtigte Drehung, ein flüchtiger Stoß mit dem Ellbogen nach Gruuhds Knie – Gerrek stieß einen überraschten Ausruf aus. Der Rohne riß zwar die Arme hoch, um sich abzufangen, konnte aber nicht mehr verhindern, daß er das Gleichgewicht verlor und hintüber stürzte. Hoch aufspritzend schlug das Brunnenwasser über ihm zusammen. Als er dann prustend und spuckend wieder an die Oberfläche kam, hockte Gerrek auf dem Mauersims und grinste ihn herausfordernd an.
    Ein erster, vielfach verästelter Blitz zuckte über das Firmament, gefolgt von dumpfem Rumoren, das gänzlich anders war als Donnerhall. Es schien aus der Tiefe des Meeres zu kommen, und als der Beuteldrache erschreckt aufsah, zuckten bereits gierige Flammenfinger über die See.
*
    Glairs Blick drückte aus, daß sie noch immer mehr als bloße Sympathie für Mythor empfand. Aber sie wußte auch, wo ihre Grenzen lagen.
    Der Sturm gewann an Heftigkeit. Carlumen mochte etwa hundert Schritt über dem Wasser dahintreiben, doch zu sehen war so gut wie nichts mehr. Lediglich das Tosen wild-bewegter See drang bis in diese Höhe herauf.
    Wolkenfetzen hüllten die Fliegende Stadt ein, auf den Scheiben gefror das Wasser und bizarre Ornamente entstanden. Ein greller Blitz tauchte die Brücke in unwirkliches, flackerndes Licht.
    Der Sohn des Kometen hastete die Treppe hinauf. Lankohr und der Kleine Nadomir kamen ihm entgegen.
    »Wir werden Schwierigkeiten bekommen«, behauptete der Königstroll.
    Mythor ging nicht darauf ein.
    »Kümmert euch darum, daß wir den Kurs beibehalten. Alles andere ist meine Sache.«
    Glair folgte ihm an Deck. Die Wolkenfront war fast zum Greifen nahe, die Sicht reichte vielleicht noch fünfzig Schritte weit. Das Heulen des Sturmes vermischte sich mit dem Donnern haushoher Brecher. Es war sinnlos, in dieser Lage Befehle geben zu wollen. Niemand würde sie hören.
    Mythor konnte sehen, daß beherzte Carlumer einige Schleppsegel eingeholt hatten. Alle anderen drohten unter den entfesselten Gewalten zu zerreißen. Die Fliegende Stadt holte weit über und legte sich schräg vor den Wind.
    Dann kam der Regen. Ein wahrer Sturzbach schlug über Carlumen zusammen. Die letzten Männer und Frauen verschwanden im Schutz der Stadt, während die an der Wehr angesteckten Fackeln erloschen.
    Im Nu waren Mythor und Glair bis auf die Haut durchnäßt. Der Sturm gewann weiter an Heftigkeit, Blitze brachen in nicht enden wollender Folge aus der Düsternis hervor.
    Es war sinnlos, an Deck zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher