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Die Totengräberin - Roman

Die Totengräberin - Roman

Titel: Die Totengräberin - Roman
Autoren: Sabine Thiesler
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einbrechen, nur weil ihnen niemand öffnet.
    Aber all diese Gedanken beruhigten nicht ihren Herzschlag.
    Die beiden Techniker der Gasfirma klopften erneut, riefen laut »Signore Tillmann« und »Liquigas, Buongiorno!«, aber als sich daraufhin immer noch niemand rührte, zuckten sie mit den Achseln und fuhren davon.
    Magda atmete tief durch.
    »Das war knapp«, sagte sie zu Johannes. »Hoffentlich kriegen wir heute nicht noch mehr Besuch.«
    Sie räumte das Frühstücksgeschirr ab und stellte alles in die Spülmaschine.
    Sanft strich sie Johannes über die Wange, band sich die Haare hinten im Nacken zusammen und ging hinaus, um sich an die Arbeit zu machen.
    In den letzten Tagen, als Johannes noch in Berlin war, hatte sie sich schon den richtigen Platz ausgesucht. Es war
nicht einfach, denn wie der Name schon sagte, war La Roccia sehr steinig. Im Grunde ein gewaltiger Felsen, von Erde bedeckt. Wenn man grub, war meist nach dreißig bis fünfzig Zentimetern Schluss, dann stieß man auf Stein. Die einzige Chance, und vielleicht auch die unauffälligste, war der Gemüsegarten. Johannes hatte ihn geliebt und fast täglich stundenlang dort gearbeitet. So war es wahrscheinlich nur richtig und gut, dass dieser Ort seine letzte Ruhestätte wurde.
    Positiv war auch, dass Johannes in dem Gärtchen die Steine abgesammelt und vor zwei Jahren sogar vier Lastwagen mit Muttererde hatte kommen lassen. Am vergangenen Mittwoch hatte Magda ein Olivenbäumchen gekauft und schon mal ein Loch gebuddelt, um zu sehen, wie tief sie kam. Sie arbeitete anderthalb Stunden, und dann war das Loch achtzig Zentimeter tief. Genug, um einen Menschen zu vergraben. Das gesamte Grab konnte sie nicht vorbereiten. Das wäre zu auffällig gewesen.
    Falls Johannes früher gekommen wäre und das Loch gesehen hätte, wollte sie sagen, sie hätte vorgehabt, das Olivenbäumchen zu pflanzen.
    Aber Johannes war erst gestern Abend nach Einbruch der Dunkelheit gekommen. So konnte sie sich diese Lüge ersparen.
    Sie hatte noch den ganzen Tag Zeit.
    Um neun Uhr begann sie zu graben, um halb zehn taten ihr alle Knochen weh, und sie hatte kaum etwas geschafft. Die Haut an ihren Händen warf bereits Blasen. Nicht mehr lange, dann würde sie zwischen Daumen und Zeigefinger offene Wunden haben. Sie trank Mineralwasser und setzte sich einen Moment ins Unkraut, das in den letzten Wochen den ganzen Gemüsegarten überzogen hatte. Johannes
hätte ein paar Tage gebraucht, um den Garten wieder so aussehen zu lassen, als ob da nie auch nur ein Halm Unkraut gestanden hätte. Normalerweise setzte er dann Tomaten, Salat, Gurken, Melonen und Kartoffelpflanzen, schob alle möglichen Zwiebeln in die Erde, steckte Petersilien- und Basilikumpflänzchen und säte, was man im Juni noch säen konnte. Und war glücklich. Auch wenn er die Früchte seiner Arbeit meist Massimo überlassen musste, der auf das Haus aufpasste, wenn sie nicht da waren, das ganze Jahr über den Rasen mähte, die Bäume beschnitt, Unkraut jätete und bei dieser Gelegenheit die Tomaten und das übrige Gemüse erntete.
    Das musste sie diesmal unterbinden. Sie wollte nicht, dass Massimo hier im Garten herumkroch. Und vielleicht auch noch umgrub, um ihr eine Freude zu machen.
    In der hinteren Ecke des Gartens wucherte das Unkraut auffällig stark, und das dort gepflanzte Gemüse wurde doppelt so groß. Denn an dieser Stelle war Bingo vergraben, ein weißer Terrier, den sie auf der Landstraße gefunden hatten. Fast verdurstet, verängstigt, verstört und an ein Vorfahrtsschild gebunden.
    »Bingo«, sagte Johannes, als sie anhielten und aus dem Auto stiegen, »du hast gewonnen, Sportsfreund. Sei froh, dass wir dich gefunden haben, das ist für dich wie ein Sechser im Lotto.«
    Sie packten Bingo auf den Rücksitz, päppelten ihn in den kommenden Wochen auf und versuchten ihm klarzumachen, dass ein braver Hund, der in Berlin und ab und zu auch in der Toskana lebt, keine Teppiche, Möbel und Schuhe frisst. Dass er nicht ins Bett springt und sich nicht die Reste vom Tisch holt.
    Bingo hörte gut zu, legte den Kopf schief, machte sein
Häufchen unter dem Schreibtisch und kapierte erst nach einem halben Jahr, was seine Lebensretter von ihm wollten. Gerade noch rechtzeitig, denn Magda hatte - völlig entnervt - schon mit dem Tierheim Kontakt aufgenommen.
    Sieben Jahre später starb Bingo an einem heißen Tag auf La Roccia an einem Bandscheibenvorfall und einer Herzschwäche. Wahrscheinlich in hohem Alter, das man nur schätzen
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