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Die Toten von Santa Lucia

Die Toten von Santa Lucia

Titel: Die Toten von Santa Lucia
Autoren: Barbara Krohn
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«
    »Ich weiß, was Sie sagen wollen«, schnitt Sonja ihm das Wort ab. Sie ärgerte sich bereits über die dumme Idee mit der Halbwahrheit. Hätte sie bloß ihren Mund gehalten und sich lieber mit Gentilini über die Wohn- oder die Kochkunst in Neapel unterhalten. Sie versuchte, eine Spur Gelassenheit in ihre Stimme zu legen. »Mit zwanzig probiert man die verrücktesten Sachen aus und schert sich einen Teufel darum, ob die Eltern Bescheid wissen oder etwas gutheißen oder nicht. Ich habe selbst versucht, meiner Freundin das klar zu machen. Aber wenn man auf der anderen Seite steht, sieht man das plötzlich nicht mehr so locker. Sie macht sich einfach große Sorgen.« Sie griff nach dem Wasserglas wie eine Verdurstende und trank es in einem Zug leer. »Wie auch immer. Gut möglich, dass Luzie morgen von selbst wieder auftaucht.«
    »Warum macht Ihre Freundin sich nicht selbst auf die Suche?«
    Die dunklen Flecken in seinen Augen tanzten auf sie zu. Sonja ließ das unsichtbare Gitter runter.
    »Sie hat noch einen jüngeren Sohn und kann unmöglich aus Hamburg weg.« Eiskalt gelogen und nicht mit der Wimper gezuckt. »Außerdem hatte ich gerade Zeit. Das Aufspüren von Informationen, Dingen, Menschen gehört zu meinem Beruf.«
    Er lachte leise. »Da haben wir etwas gemeinsam. Aber wieso ausgerechnet Neapel? Gibt es einen speziellen Grund?« Der Profi in ihm ließ nicht locker. Und sie nicht aus den Augen.
    Sie starrte zurück, zögerte. Wer A sagte, konnte ebensogut auch B sagen. »Sie … Sie sucht nach ihrem Vater. Er ist Neapolitaner.«
    Er machte eine Geste, als wollte er sagen, jetzt kommen wir der Sache langsam näher. »Kennt sie ihn?«
    Sonja schüttelte den Kopf.
    »Verstehe. Neapel ist groß. In Neapel kann man sich leicht aus den Augen verlieren. Wie heißt er?«
    Sonja griff nach dem Weinglas, um sich irgendwo festzuhalten. Sie hatte es ja gewusst. Dass er immer weiterfragen würde. Er war ein Kommissar, egal wie breit sein Lächeln sein mochte und wie anrührend sein Gesang. Genau das aber hatte sie nicht gewollt. Sie hätte es an seiner Stelle vermutlich ähnlich gemacht. Aber sie war nicht an seiner Stelle. Und sie suchte nicht die Tochter ihrer Freundin. Die Erinnerung, die zu dieser ganzen vermaledeiten Geschichte gehörte, war ihre eigene. Sie kam nicht drum herum.
    Ihre Stimme war belegt. »Sie kennt offenbar nur seinen Vornamen.«
    »Keine Adresse?«
    Sonja schüttelte den Kopf.
    Gentilini schwieg und drehte das Glas in den Händen. »Das wird nicht einfach. Weiß er von seinem Vaterglück?«
    »Wieso Glück?«, entfuhr es Sonja viel zu heftig. Sie biss sich auf die Zunge und war froh, dass just in diesem Augenblick der Kellner schwungvoll zwei dampfende Teller vor ihnen abstellte.
    »Ecco due purpetielle affucate. Buon appetito, Commissario.«
    Gentilini schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. »Grazie, Gigìno.« Dann stopfte er die weiße Stoffserviette mit einer Ecke in den Halsausschnitt seines Hemdes, wünschte auch Sonja einen guten Appetit und tauchte die Gabel in den mit Tomatensauce, Kapern, Oliven und Tintenfisch bedeckten Berg Spaghetti. »Delizioso«, murmelte er. Mit einem Blick auf ihre beige Seidenbluse fügte er hinzu: »Würde ich Ihnen übrigens auch empfehlen. Ich meine, die Serviette.«
    Zwei, drei Minuten lang widmeten sie sich beide wortlos den leiblichen Genüssen, und Sonja wollte gerade innerlich aufatmen, als der Commissario den Gesprächsfaden wieder aufnahm.
    »Was ich trotzdem noch nicht verstehe, ich meine, wozu das Ganze? Wieso wartet Ihre Freundin nicht einfach ab? Wieso lässt sie ihre Tochter nicht einfach in Ruhe ihren Vater suchen und vielleicht finden oder auch nicht? Wieso hat sie Sie hinterhergeschickt?«
    »Ich kenne Luzie … habe ich erwähnt, dass ihre Tochter Luzie heißt … nein, wahrscheinlich nicht … seit sie auf der Welt ist«, sagte Sonja. »Ich bin also eine Vertraute und soll vermitteln, weil … «
    Es war gar nicht nötig, lange nach einer Antwort zu suchen. Sie kannte das Motiv dieser fiktiven Freundin bestens. Ihre Stimme zitterte ein wenig, als sie sagte: »Ich glaube, sie hat einfach Angst, dass ihre Tochter nicht zurückkommt. Dass sie ihr nicht verzeiht, dass … Ecco.«
    Sie brach den Satz ab, spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss. Basta!, dachte sie wütend. Es reicht! Was ging ihn das eigentlich an? Schließlich kannte sie den Typen kaum. Je mehr sie redete, desto dünner wurde das Eis, auf dem sie sich bewegte. Sie wollte das
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