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Die Toten von Santa Lucia

Die Toten von Santa Lucia

Titel: Die Toten von Santa Lucia
Autoren: Barbara Krohn
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Korb mit frisch geschnittenem Weißbrot. Gentilini schenkte ein.
    »Auf Ihre Zeit in Neapel.«
    Sie tranken sich zu.
    »Wo haben Sie und Lion sich eigentlich kennen gelernt?«
    »Während der Ausbildung. Wir waren einen Monat zusammen in New York auf einem Lehrgang«, sagte er. »Wir hatten von Anfang an die gleiche Wellenlänge. Und jede Menge Spaß. Lion ist nicht so engstirnig wie viele meiner Kollegen. Wir waren zusammen in der Metropolitan Opera und bei den Yankees. Seitdem hat er mich ein paarmal hier besucht.«
    »Aber Sie ihn nicht.«
    Gentilini nickte. »Steht schon lange auf meinem Programm. Aber der Norden ist weit.«
    »Nicht weiter als für uns der Süden«, sagte sie.
    »Stimmt. Außerdem hätte ich Sie dann eher kennen gelernt.«
    Macho, dachte sie. Der hat seine Sprüche gut gelernt.
    Gentilini hatte hellbraune Augen mit dunkleren Flecken. Einer davon kam zu ihr herübergetrieben, sie fing ihn auf, ohne zu wissen, was sie damit anfangen sollte. Ein aufgesammelter Blick. Sie hatte seit längerem keine Männerblicke mehr aufgesammelt, es war der erste seit der Trennung von Hendrik vor zwei Jahren.
    »Und jetzt erzählen Sie mir, weshalb Sie in Neapel sind.«
    Das klang schon wieder verdächtig nach dem kategorischen maskulinen Imperativ. Sie warf den Kopf in den Nacken.
    »Hat Lion Ihnen das nicht verraten?« Es klang weniger schroff, als sie eigentlich vorgehabt hatte.
    »In mancher Hinsicht sind Männer sehr diskret«, konterte er und lächelte verschmitzt. »Aber er hat ausgeplaudert, dass Sie Journalistin sind. Vielleicht kann ich Ihnen bei der Recherche behilflich sein.«
    Ganz schön von sich überzeugt, der Herr Kommissar. »Normalerweise schreibe ich über Inneneinrichtung«, sagte sie. »Ich besinge Fußböden, Regale, pfiffige Ideen für schräge Wände oder wie man Arbeits-, Schlaf- und Wohnzimmer auf zwölf Quadratmetern unterbringt.«
    Er grinste. »Wenn man keine hohen ästhetischen Ansprüche stellt, kann man sich dazu in Neapel viele Anregungen holen. In den Bassi in den Quartieri Spagnoli leben zehnköpfige Familien mitsamt Madonna und TV in einem einzigen Zimmer. Man kann zwar Neapel nicht gerade als Hauptstadt des Designs bezeichnen, aber ein Onkel von mir kennt …«
    »Sweet Home ist nur ein Job«, unterbrach sie ihn. »Ich verdiene damit mein Geld, das ist alles.«
    Er nickte. »Und was konkret ist Ihr Thema in Neapel?«
    Sollte sie ihn mit irgendeiner erfundenen Recherchestory abspeisen? Oder ihm vielleicht von der widerwärtigen Mobbingkampagne in der Redaktion berichten, bei der es zwei Tote gegeben hatte …
    »Das ist eine lange Geschichte«, murmelte sie ausweichend.
    »Gibt’s keine Kurzfassung?«
    Der Kerl ließ nicht locker. Einen Augenblick lang zog sie in Erwägung, ihm von Luzie zu erzählen. Zumindest zu sagen, dass sie in Neapel nach ihr suchte. Nur das. Mehr nicht. Aber das ging nicht. Denn er würde nachfragen, er war ein Profi. Und sie würde antworten müssen. Sie würde sagen müssen, meine Tochter sucht hier in Neapel nach ihrem ihr unbekannten Vater, und dann kämen das Warum und Wieso und das Damals und ihre eigene Rolle dabei auf den Tisch. Nüchtern betrachtet war Luzie neunzehn und somit volljährig und für sich selbst verantwortlich. Sie ist kein dummes Gör mehr, sie geht ihren eigenen Weg. Hatte Lion gesagt. Hatte, mit ähnlichen Worten, auch Maris gesagt. Hätte Sonja mit mehr Abstand vermutlich selbst so gesehen. Wenn Luzie nicht ihre eigene Tochter gewesen wäre. Das brachte sie auf eine Idee. Ein kleiner Rollenwechsel war eine gute Tarnung. Wer weiß, vielleicht konnte dieser Gentilini tatsächlich weiterhelfen.
    »Ich suche nach einer jungen Frau. Sie ist die Tochter einer guten Freundin aus Hamburg.«
    Er wirkte fast enttäuscht. »So eine Art Recherche meinen Sie.« Er griff in den Brotkorb, riss ein Stückchen Weißbrot ab und schob es sich in den Mund. »Und ich dachte schon, ich könnte etwas über Duschvorhänge dazulernen. Wie alt ist sie?«
    »Sie wird im Juni zwanzig. Sie hat sich seit Monaten nicht mehr zu Hause gemeldet. Zuletzt aus Neapel.« Das war leicht übertrieben, beeindruckte Gentilini aber trotzdem nicht im Geringsten.
    Er zuckte die Achseln. »Als ich zwanzig war, bin ich fast ein Jahr lang kreuz und quer durch Südostasien gereist. In der ganzen Zeit habe ich nur eine einzige Postkarte nach Hause geschrieben, und zwar am Tag vor meinem Rückflug. Die Postkarte kam allerdings erst ein halbes Jahr später an. Ich meine …
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