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Die Toten Von Jericho

Die Toten Von Jericho

Titel: Die Toten Von Jericho
Autoren: Colin Dexter
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Vorbeifahren, daß im Phönix Der Sex der grünen Witwen lief; doch gleich darauf fiel sein Blick auf ein Straßenschild mit der Aufschrift Jer i cho Street, und für mögliche Phantasien über ein, zwei Stunden erotischen Kinovergnügens war auf einmal kein Raum mehr. Ganz hier in der Nähe mußte Anne Scott wohnen. Er hatte zwischendurch immer wieder an sie gedacht, aber die Aussicht auf eine Beziehung zu ihr war ihm bereits am nächsten Morgen, im nüchternen Tageslicht, längst nicht mehr so verlockend erschienen wie in der Nacht zuvor. Sie war schließlich verheiratet, und das gab immer Komplikationen! Er hatte deshalb damals nichts mehr von sich hören lassen, doch heute schien die Gelegenheit günstig zu einem unverfänglichen Wiedersehen …
    Am Vormittag hatte er in Kidlington eine Gruppe frisch ausgebildeter und überaus ernsthafter junger Kriminalbeamter über das Prozedere bei einem Mordfall aufzuklären versucht. Ihren Mienen hatte er ansehen können, daß seine Ausführungen sie langweilten, und Morse gestand sich hinterher selbstkritisch ein, daß er nicht gut in Form gewesen war. Er war jedoch fest entschlossen, sich durch diesen Mißerfolg nicht die Laune verderben zu lassen. Schließlich hatte er den Rest des Tages frei und dazu, zum erstenmal seit Wochen, einen legitimen Grund, nach Jericho zu fahren. Als Mitglied der Oxforder Literarischen Gesellschaft hatte er vor kurzem die Mitteilung erhalten, daß am heutigen Mittwoch um acht Uhr abends Dame Helen Gardner einen Vortrag über das New O x ford Book of English Verse halten werde, und die Aussicht, diese hervorragende Gelehrte reden zu hören, hatte ihn bewegen, seine übliche Trägheit zu überwinden und zum erstenmal in diesem Jahr einer Veranstaltung beizuwohnen. Der Ankündigung von Dame Helens Vortrag schloß sich die Bitte an, jedes Mitglied möge den Inhalt seines Bücherschranks einer kritischen Prüfung unterziehen und Bücher, an denen kein Interesse mehr bestehe, zur Verfügung stellen, da vor dem Vortrag ein Buchbasar geplant sei, dessen Erlös helfen solle, die fast leere Kasse der Gesellschaft wieder etwas aufzufüllen. Morse war dieser Bitte nachgekommen und hatte am Dienstagabend etwa dreißig Taschenbücher aussortiert, die jetzt wohlverstaut in einem Karton auf dem Rücksitz seines Wagens lagen. Die Bücher sollten zwischen fünfzehn und siebzehn Uhr im Clarendon Press Institute in der Walton Street, wo die Veranstaltungen der Gesellschaft gewöhnlich stattfanden, abgegeben werden. Jetzt war es zwanzig nach drei; er brauchte also nicht gleich dorthin zu fahren.
    Unmittelbar vor dem Gebäude der Oxford University Press bog er nach rechts ab, fuhr langsam die Great Clarendon Street hinunter und passierte eine Reihe von Nebenstraßen, bis er schließlich zu seiner Rechten auf einem Straßenschild den Namen Canal Street entdeckte. Da lag Canal Reach doch wahrscheinlich ganz in der Nähe? Den ganzen Tag über hatte es ununterbrochen geregnet, und als er in die verlassene Straße einbog, klatschten Regenböen gegen seine Windschutzscheibe. Er fuhr im Schritttempo und hielt Ausschau nach einer Parkmöglichkeit. Doch die Suche gestaltete sich schwierig. Auf der einen Straßenseite herrschte absolutes Halteverbot, gegenüber wiesen eine Reihe blauer Schilder mit einem weißen ›P‹ darauf hin, daß diese Plätze Anwohnern mit Parkerlaubnis vorbehalten waren. Es gab dort eine oder zwei Lücken, aber eine tief in ihm verwurzelte, fast schon verbohrte Gesetzestreue und nicht zuletzt auch die Angst, erwischt zu werden und ein saftiges Bußgeld zahlen zu müssen, hinderten ihn, sich dort hinzustellen. Er kreuzte weiter durch das unübersichtliche Gewirr kleiner Nebenstraßen, bis er schließlich direkt am Kanal, unter dem freistehenden Glockenturm der St.-Barnabas-Kirche eine von weißen Markierungen begrenzte Stellfläche fand, die noch nicht besetzt war. ›Parkdauer maximal zwei Stunden, Rückkehr nicht vor einer Stunde.‹ Er setzte mit Bedacht rückwärts in das vorgeschriebene Rechteck, schaltete die Zündung aus und blickte sich um. Durch ein geöffnetes Tor sah er ein blaues, ein braunes und ein rotes Hausboot, die in einer Reihe nebeneinander am Ufer vertäut lagen. Über dem Wasser entfernten sich – den Hals weit vorgestreckt – mit laut klatschendem Flügelschlag drei Enten in Richtung Norden. Sie waren gegen den schon dämmrigen Nachmittagshimmel nur als schwarze Silhouetten zu erkennen. Er stieg aus, blieb eine Weile im Regen
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