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Die Toten Von Jericho

Die Toten Von Jericho

Titel: Die Toten Von Jericho
Autoren: Colin Dexter
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um die Ecke die Cornmarket Street, in deren Cafés und Schnellrestaurants der Besucher sich von den Strapazen erholen und in seinem frischerstandenen Reiseführer lesen kann, der ihn detailliert auch über diejenigen Colleges, ihre Entstehungszeit und ihre Mäzene informiert, die ihm bei seiner schnellen Sightseeing-Runde entgangen sind. Doch irgendwann kommt dann der Zeitpunkt, an dem sein Wissensdurst gestillt ist; er läßt Kultur Kultur sein und begibt sich vielleicht, der Fußgängerzone folgend, ins Westgate-Einkaufszentrum, das sich neben der St.-Ebbe’s-Kirche erhebt. Hier drängten sich früher eine Vielzahl alter Häuser, und wohl aus diesem Grund mag es den Stadtvätern besonders geeignet erschienen sein, ihren Modernisierungswillen zu demonstrieren und der unbestreitbaren Antiquiertheit des Stadtbildes wirksam etwas entgegenzusetzen, indem sie die alten Gebäude dem Abriß preisgaben, um an ihre Stelle eine Betonfestung zu setzen, in der Geschäfte und Büros der kommunalen Verwaltung untergebracht wurden. Solitudinem faciunt: arch i tecturam appellant.
    Sollte aber der eine oder andere Besucher mehr Zeit mitbringen, dann vermag Oxford ihm durchaus noch weitere Attraktionen zu bieten, die allerdings nicht unbedingt im Reiseführer zu finden sind. So könnte er zum Beispiel die Cornmarket Street immer geradeaus, am Hotel Randolph vorbei, in die Beaumont Street schlendern, wo es etliche, einen eleganten Bogen bildende, klassizistische Häuser zu bewundern gibt. Und vielleicht hat er Lust, wenn er schon einmal an Ort und Stelle ist, dem Ashmolean Museum, das gleich an der Ecke Beaumont-Magdalen Street Hegt, einen Besuch abzustatten, wenn er es nicht doch vorzieht, statt dessen in den Gärten des nahegelegenen Worcester College zu lustwandeln. Geht unser Besucher von hier aus weiter in nördliche Richtung, so erreicht er kurz darauf das untere Ende der Walton Street und findet sich, folgt er ihr, bald in einer Gegend, die, durch welche glücklichen Umstände auch immer, von der Kahlschlagplanung der kommunalen Bürokratie bisher verschont geblieben ist. Irgendwann wird ihm auffallen, daß er keine Colleges mehr sieht: er hat Oxford, die Universitätsstadt, hinter sich gelassen, und zu seiner Linken das imposante Gebäude der Oxford University Press, dessen rasenbedeckter Innenhof durch ein hohes schmiedeeisernes Gitter abgesperrt ist, wirkt in seiner strengen Majestät hier seltsam fehl am Platz. Spätestens jetzt kehren die meisten Besucher denn auch um und wenden sich wieder in Richtung Innenstadt. Die wenigen, die es weiterzieht, entdecken bald darauf den rotblauen Namenszug des Phönix-Kinos, und nicht lange, so taucht die schwärzlich-graue Fassade des Radcliffe-Krankenhauses vor ihnen auf. Sie befinden sich mitten im Stadtteil Jericho.
    Jericho ist fast ausschließlich Wohnbezirk und reicht von der Westseite der Walton Street bis an das Ufer des Kanals. Die Straßen, von denen einige, wie zum Beispiel die Wellington und die Nelson Street, durch ihre Namen von Englands ruhmvoller Vergangenheit künden, sind nichtsdestoweniger trist und schmucklos. Sie sind in der Mehrzahl von einfachen Reihenhäusern gesäumt, die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts gebaut wurden.
    Hier wohnten Werft- und Eisenbahnarbeiter, Drucker der Oxford University Press und Arbeiter aus Lucy’s Eisengießerei in der Juxon Street mit ihren Familien. Wie die Gegend zu ihrem merkwürdigen Namen kam, läßt sich heute nicht mehr feststellen. Keines der vielen Bücher zur Stadtgeschichte im City Museum in der St. Aldate’s Street vermag darüber Auskunft zu geben. Denen, die hier leben, ist es wohl ohnehin egal, weil sie sich längst damit abgefunden haben, daß viele Dinge sich nicht erklären lassen, daß es Menschen gibt und daß sie sterblich sind, daß manche dem Alkohol verfallen sind und andere sich rettungslos verlieben.
    An einem Mittwoch, Anfang Oktober, seit Mrs Murdochs Party in Nord-Oxford waren fast vier Monate vergangen, befand sich Detective Chief Inspector Morse von der Thames Valley Police auf dem Weg von Kidlington nach Oxford. Er folgte zunächst der Woodstock Road, wandte sich dann nach rechts in die Bainton Road und fuhr diese immer geradeaus bis zur Walton Street. Während er seinen Lancia mit erhöhter Aufmerksamkeit durch die recht enge Straße steuerte, bereit, schnell zu reagieren, falls von den zu beiden Seiten abgestellten Autos plötzlich eines aus der Parklücke ausscheren sollte, registrierte er im
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