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Die Toten Von Jericho

Die Toten Von Jericho

Titel: Die Toten Von Jericho
Autoren: Colin Dexter
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stehen und sah den schmutziggelben Turm hinauf, dessen massige Form die Straße beherrschte. Er hätte gern einen Blick ins Innere geworfen, aber die Tür war verschlossen. Gerade bemühte er sich, den angehefteten Zettel zu entziffern, ›Wegen zahlreicher Akte von Vandalismus, die auf das Treiben jugendlicher Rowdies zurückzuführen sind, sehen wir uns leider gezwungen …‹, als er hinter sich eine Stimme hörte.
    »Gehört der Wagen hier Ihnen?«
    Eine junge, triefend nasse Politesse – das Zeichen ihrer Würde, das gelbe Band am Hut, war bestimmt erst wenige Tage alt – stand neben seinem Lancia und bemühte sich ungeachtet des wieder stärker werdenden Regens, auf einer durchweichten Seite ihres Blocks eine Eintragung zu machen.
    »Ich darf da aber doch stehen, oder?« fragte Morse, plötzlich unsicher geworden, und kam in langen Schritten eilig die flachen Kirchenstufen heruntergelaufen.
    »Sie sind hier an der Seite über der weißen Linie, und außerdem müssen Sie zurücksetzen. Sie haben hinten noch reichlich Platz!«
    Gehorsam manövrierte Morse den Lancia in die vorgeschriebene Position, dann kurbelte er sein Fenster herunter. »So richtig?«
    »Vergessen Sie das nächste Mal, wenn Sie den Wagen verlassen, nicht wieder das Abschließen. Heutzutage werden eine Menge Autos gestohlen. Und denken Sie daran, daß Sie hier nicht länger als zwei Stunden stehen dürfen.«
    »Aber ich schließe immer …«
    »Eben aber nicht!«
    »Das war doch nur, weil ich ganz in der Nähe …«
    Sie war schon gegangen, offenbar interessierten sie seine Einwände nicht. Morse sah, wie sie ein Stück weit die Straße hinauf stehenblieb, um einem armen Parksünder einen vor Nässe durchscheinenden Strafzettel unter den Scheibenwischer zu klemmen, und rief hinter ihr her:
    »Ich suche Canal Reach!«
    Sie drehte sich um und deutete mit dem Daumen hinter sich.
    »Um die Ecke in die Canal Street. Dann die zweite links.«
     
    Morse bemerkte, als er in die Canal Street einbog, daß die junge Politesse ungeachtet des Regens auch hier schon tätig geworden war. Im Weitergehen registrierte er, daß es auch einen hellblauen Rolls-Royce, der auf der anderen Straßenseite, an der Ecke Victor Street, geparkt stand, erwischt hatte. Das riesige Luxusgefährt stand in auffallendem Kontrast zu der eher ärmlichen Umgebung. Morse dachte jedoch nicht weiter darüber nach, denn die nächste Querstraße war Canal Reach. Er blieb einen Moment lang stehen. Warum war er überhaupt hier? Was wollte er ihr eigentlich sagen, wenn er sie sah?
    Canal Reach war eine Sackgasse, die nach weniger als hundert Metern vor den Toren einer kleinen Bootswerft endete. Autos war die Zufahrt untersagt; drei etwa meterhohe Betonzylinder in der Mitte der Fahrbahn sorgten dafür, daß das Verbot auch tatsächlich befolgt wurde. Zu beiden Seiten der engen Straße standen jeweils fünf schmale, eher niedrige Reihenhäuser: zwei kleine Zimmer unten, zwei oben, das war alles. Die Häuser waren billig und ohne jeden Komfort gebaut; in früheren Jahren waren hier vermutlich die am Kanal beschäftigten Arbeiter mit ihren Familien untergebracht gewesen. Hinter den Fenstern mit den Netzgardinen war alles dunkel, und wenn nicht neben einigen Türen Fahrräder gelehnt hätten, so hätte man die Häuser für unbewohnt halten können. Morse schritt die Straße hinunter bis zum Ende und blieb dann stehen. Er war nervös und unentschlossen. Automatisch klopfte er seine Manteltaschen nach Zigaretten ab. Aber er mußte sie wohl im Auto liegengelassen haben. Hinter ihm fuhr ein Wagen die Canal Street entlang. Die Reifen verursachten auf der nassen Fahrbahn ein zischendes Geräusch. Er drehte sich kurz um. Der Fahrer hatte schon das Standlicht eingeschaltet.
    Nach ein paar Minuten gab Morse sich einen Ruck und klopfte. Er wartete, aber niemand kam. Fast war er erleichtert. Trotzdem klopfte er noch ein zweites Mal, ein bißchen lauter jetzt, trat einen Schritt zurück und ließ seine Augen prüfend über die Fenster gleiten. Das Erdgeschoß hatte zur Straßenseite nur ein einziges Fenster, das sich gleich rechts neben der Haustür befand. Doch die leuchtendroten Vorhänge waren vorgezogen und verwehrten den Blick in den dahinterliegenden Raum. Die beiden Fenster im ersten Stock gehörten wahrscheinlich zu ihrem Schlafzimmer. Plötzlich stutzte er. Wenn ihn nicht alles täuschte, so brannte dort oben irgendwo Licht. Er kniff die Augen zusammen. Ja, kein Zweifel. Vermutlich stand die Tür
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