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Die Tote

Die Tote

Titel: Die Tote
Autoren: Marion
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besetzte. Ihr Vater hatte am Abend mehrere Male angerufen und auf den Anrufbeantworter gesprochen. Anscheinend hatte er keine Ahnung, was eigentlich los war. Er war vom Tennis nach Hause gekommen und hatte auf dem Wohnzimmertisch den Zettel seiner Frau gefunden.
    »Such dir einen Anwalt!«, hatte draufgestanden. »Ich hab schon einen.«
    »Was zum Kuckuck ist hier eigentlich los?«, hatte ihr Vater gebrüllt, als Charlotte endlich – unter dem Protest ihrer Mutter – das Gespräch angenommen und ihn aufgeklärt hatte. Der hatte daraufhin ein merkwürdiges Keuchen von sich gegeben und dann aufgelegt.
    Es war klar, dass ihre Mutter wenigstens ein paar Tage bleiben würde. Charlotte wusste bloß nicht, wie sie das Rüdiger schmackhaft machen sollte. Vielleicht konnte sie ihn mit den überragenden Koch- und Backkünsten ihrer Mutter ködern. Zu dumm, dass ihre Schwester Andrea, die sonst für solche Notfälle zuständig war, weil sie ebenso wie ihre Eltern in Bielefeld wohnte, gerade jetzt mit ihrer Freundin Urlaub in Büsum machte. Ihren Sohn, Charlottes Neffen, hatte sie so lange bei seinem Vater untergebracht.
    Jetzt stand Charlotte in Jeans und T-Shirt in ihrer Küche und trank die erste Tasse Kaffee. In der Wohnung war noch alles still. Jan musste zwar um acht in der Schule sein, stand aber trotzdem erst um halb acht auf und machte sich zwanzig Minuten später auf den Weg. Sein Frühstück bestand gewöhnlich aus einer Dose Cola. Charlotte drehte sich der Magen um, wenn sie ihren Stiefsohn die eiskalte Cola hinunterstürzen sah, aber wenigstens bekam er Zucker, dachte sie. Und Kaffee war ja im Grunde auch nichts anderes.
    Wieder meldete sich ihr schlechtes Gewissen. Obwohl sie eigentlich gar nicht zuständig war oder zumindest nicht so wie Rüdiger.
    Jan war nämlich mitten in seinen Abiturprüfungen, und irgendwie hatte Charlotte das Gefühl, man müsse sich doch gerade jetzt ein bisschen um den Jungen kümmern, auch wenn er offensichtlich ganz gut allein zurechtkam. Eigentlich war Rüdigers Malheur ja zu einem günstigen Zeitpunkt passiert. Er war die ganze Zeit während der Abiturprüfungen zu Hause und konnte seinen Sohn unterstützen.
    Charlotte war sich aber nicht sicher, ob ihr Lebensgefährte seiner Aufgabe als treusorgender Vater auch wirklich nachkam. Jans Mutter hatte sich aus dem Leben ihrer beiden Männer so gut wie verabschiedet. Sie hatte wieder geheiratet und war Mutter einer Tochter geworden. Wenn Charlotte ehrlich war, machte sie das ein bisschen neidisch, da sie ständig mit Rüdiger stritt, weil sie ein Kind wollte und er nicht. Und jetzt war sie dreiundvierzig. Das Thema hatte sich wohl erledigt. Charlotte nahm gerade den letzten Schluck Kaffee, als Bergheim aus dem Wohnzimmer gehumpelt kam.
    »Fährst du schon los?«, fragte er. Charlotte stellte die Tasse weg und nickte.
    »Nimm mich mit!«, bettelte er und legte den Kopf schief.
    »Nächste Woche«, sagte Charlotte und küsste ihn auf die Wange.
    Dann eilte sie hinaus, denn im Schlafzimmer wurde es lebendig.
    In der   KFI   angekommen, traf sie im Flur auf Frau Kaiser, Ostermanns Sekretärin, der sie wenn möglich aus dem Weg ging. Die Frauen mochten sich nicht besonders, was wahrscheinlich daran lag, dass Frau Kaiser eine Schwäche für Bergheim hatte, was für Charlotte ein stetiger Grund zur Eifersucht war. Aber Frau Kaiser nahm Charlotte gar nicht wahr. Sie rauschte an ihr vorbei, wobei sie leise Verwünschungen ausstieß. Charlotte sah ihr verwundert nach und ging in ihr Büro, wo – sie traute kaum ihren Augen – Martin Hohstedt bereits auf sie wartete.
    »Nanu«, sagte sie, »schon so früh heute?«
    »Ist doch egal, wo ich bin«, maulte Hohstedt, »wach bin ich sowieso, und hier brüllt wenigstens kein Baby.«
    Aha, dachte Charlotte, Flucht vor der Familie. »Und was ist mit Frau Kaiser los?«
    Hohstedt lächelte. »Die hat so ihre Probleme, jetzt wo der Chef so mit seiner Abschiedsfeier beschäftigt ist. Hab sie vorhin was von ›Kaltmamsell‹ murmeln hören.«
    »Vielleicht braucht er noch jemanden fürs Buffet?«, griente Charlotte. »Gibt’s irgendwelche Neuigkeiten? Ist die Tote identifiziert?«, fragte sie, während sie sich in den Besprechungsraum begaben.
    »Nein«, antwortete Hohstedt, »soweit ich sehen kann, gibt’s bisher keine Übereinstimmung mit den Vermisstenmeldungen. Sind zwar einige Mädchen im passenden Alter dabei, aber nicht unsere Tote. Und meistens tauchen die ja dann auch bald wieder auf. Die
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