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Die Tote

Die Tote

Titel: Die Tote
Autoren: Marion
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haben.«
    »Das denke ich auch.«
    »Was sagen die Zähne?«
    »Ja, die Zähne sind ein echtes Trauerspiel. Stehen kreuz und quer. Eine Kieferkorrektur hatte sie nicht. Aber Karies auch nicht, zwei Amalgamplomben in den unteren Backenzähnen. Nichts Außergewöhnliches.«
    »Na klasse«, murmelte Charlotte. Da konnten sie nur hoffen, dass irgendwer das Mädchen erkannte oder die Narbe ihnen weiterhalf, wenn Zähne und Fingerabdrücke keine Anhaltspunkte lieferten.
    Dr.   Wedel stand auf. Charlotte hatte sich schon gewundert, dass er ihr heute so viel Zeit widmete. Entweder waren ihm wirklich die Toten ausgegangen, oder er wurde alt und gelassen.
    »Den Bericht faxen wir dann«, sagte er, hielt dann plötzlich inne und lächelte wie ein Breitmaulfrosch. »Fast hätte ich es vergessen. Etwas Besonderes hab ich schon noch an Ihrer Leiche entdeckt …«
    »Na und? Was?«
    »Die Frau hat vor etwa zwei bis drei Wochen ein Kind geboren.«
    »Ach«, sagte Charlotte schwach.
    »Aber sie scheint nicht gestillt zu haben«, fuhr Wedel fort.
    »Nicht?«
    »Nein. Dann gäbe es Spuren an den Brustwarzen. Die Kleinen sind nämlich nicht zimperlich beim Trinken.« Er stieß ihr kumpelhaft in die Seite.
    Charlotte brauchte ein paar Sekunden, um diese Information zu verdauen. »Aber wo ist dann das Kind?«
    »Gute Frage«, sagte Wedel, nahm ihre Hand und führte sie zur Tür. »Vielleicht sollten Sie nach ihm suchen. Am besten, Sie fangen gleich damit an.«
    Damit öffnete Wedel die Tür, aber Charlotte hatte noch eine Frage, wusste nur nicht, wie sie sie am besten loswerden konnte.
    »Äh …«, begann sie, »diese … dieses Aneudingsda. Wie findet man raus, ob man so was hat?«
    Dr.   Wedel brach in schallendes Gelächter aus. »Unsere furchtlose Frau Hauptkommissarin hat Angst um ihre Gesundheit.« Er rieb sich die Augen und schob Charlotte zur Tür hinaus.
    »Hat dieses Ding was mit der Schwangerschaft zu tun?«, wollte Charlotte noch wissen.
    »Nein, eher nicht.« Wedel tätschelte ihre Hand und schloss die Tür. Eine Antwort auf die andere Frage blieb er ihr schuldig.
    Als Charlotte allein auf dem kahlen Flur stand, überkam sie ein mulmiges Gefühl. Dr.   Wedel hatte recht. Sie wurde zunehmend empfindlich, was ihre eigene Gesundheit anbelangte. Das lag wohl daran, dass frau eben nicht jünger wurde. Andererseits hatte sie doch gerade erst die vierzig überschritten. Charlotte kam zu dem Schluss, dass sie manche Sachen eigentlich gar nicht wissen wollte, und beeilte sich, diesen einsamen langen Korridor, der so atemberaubend nach Reinigungsmitteln roch, schleunigst zu verlassen.
    Die Besprechung um fünf verlief turbulent, denn jetzt suchten sie nicht nur nach einem Namen für die Tote, sondern auch noch nach einem Neugeborenen.
    »Sie muss aus irgendeinem Krankenhaus abgehauen sein. Vielleicht war sie ja sogar in Behandlung wegen dieses Ballons im Kopf«, sagte Bremer wenig pietätvoll.
    »Oder sie fühlte sich mit dem Kind überfordert und hat es irgendwo abgegeben. So was passiert ja nicht so selten.«
    Charlotte überlegte. »Oder sie hat sonst was damit angestellt. Das will ich mir gar nicht vorstellen.«
    »Bei der Babyklappe ist jedenfalls kein Kind abgegeben worden und auch bei keinem Krankenhaus oder im Kinderheim. Die melden das ja dann auch sofort«, meinte Bremer.
    »Vielleicht war sie auch einfach nicht ganz richtig im Kopf.« Hohstedt, der die ganze Zeit durch Schweigsamkeit aufgefallen war, saß gelangweilt am Tisch und spielte mit seinem Bleistift. Alle sahen ihn verwundert und ein bisschen vorwurfsvoll an. »Na ja, so abwegig ist das ja wohl nicht.« Er glaubte wohl, sich rechtfertigen zu müssen. »Welche Frau rennt denn schon mitten in der Nacht in Nachthemd und Badetuch durch die Stadt?«
    »Eine, die auf der Flucht ist?« Maren Vogt, die Hohstedt nicht mochte, warf ihm einen abfälligen Blick zu.
    Charlotte räusperte sich. »Wir können beides nicht ausschließen«, sagte sie, um die Atmosphäre ein bisschen zu entspannen.
    »Oder«, Schliemann hatte auch eine Idee, »irgendeine Verrückte hat ihr das Kind geklaut, und sie ist hinterher. Das wäre zumindest eine Erklärung für ihre Kleidung und auch für die Wunde am Kopf. Sie haben sich um das Kind gebalgt.«
    »Das ist gar nicht so unwahrscheinlich«, Charlotte nickte anerkennend, »aber warum hat sie dann nicht um Hilfe geschrien? Irgendwer hätte sie doch in der Innenstadt gehört, auch wenn es dort fast nur Büros und keine Wohnungen gibt.«
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