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Die Tote von Schoenbrunn

Die Tote von Schoenbrunn

Titel: Die Tote von Schoenbrunn
Autoren: Edith Kneifl
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sich und fragten sich einmal mehr, was sie tun könnten, um den Frauenmörder zumindest hinter Gitter zu bringen.
    Graf Batheny schickte seine Tochter Marie Luise auf Kur nach Bad Ischl, obwohl ihr Dorothea einen Besuch bei Doktor Freud empfohlen hatte. Sie maß der Geschichte von Marie Luises Verführung durch den Reitlehrer große Bedeutung bei.
    Erzherzog Karl Konstantin, der Jack the Ripper von Wien, war laut Polizei-Oberkommissär Rudi Kasper bei allen Verhören, die der ersten Einvernahme gefolgt waren, wenig mitteilsam und äußerst hochmütig gewesen. Nach der Visite seines Anwalts war er sich sicher gewesen, dass ihm nichts passieren könne.
    Der Wiener Hof schien tatsächlich große Anstrengungen zu unternehmen, um die bestialischen Taten des missratenen Sprösslings zu vertuschen. Keine einzige Zeitung berichtete über die Verhaftung des Erzherzogs, nicht einmal die Neue Freie Presse. Gustav bestellte sein Abonnement ab.
    Die Gerüchteküche vermeldete, dass Karl Konstantin nach Madeira „verbannt“ werden würde, mit dem Auftrag, sich dort um den Verkauf der Güter der verstorbenen Kaiserin zu kümmern.
    Eines Abends kurz vor Weihnachten sinnierten Gustav, Vera und Dorothea bei Kerzenlicht vor dem Kamin in Gustavs Zimmer über die Ungerechtigkeit des Systems.
    „Die Monarchie gehört abgeschafft, wir brauchen eine Revolution“, sagte Vera. „Eine Revolution der Frauen.“
    „Und der Männer“, fügte Dorothea hinzu. „Allein werden wir es nie schaffen, die Verhältnisse zu ändern.“
    „In Russland brodelt es“, warf Gustav ein, „ich sage euch, diese russischen Revolutionäre werden die Welt verändern, glaubt mir. Die Arbeiter werden sich erheben und ihre Rechte einfordern. Schaut euch nur an, in welchem Elend die Massen leben. Sie werden diese furchtbaren Zustände nicht ewig erdulden. Irgendwann werden sie aufbegehren.“
    „Hoffentlich bald“, seufzte Dorothea. „Die Monarchie ist eine völlig veraltete und längst überholte Regierungsform. Denkt an die französische Revolution. Es ist kaum hundert Jahre her, seit das Volk in Frankreich die Macht übernahm …“
    „Und jämmerlich gescheitert ist“, unterbrach Gustav sie.
    „Ich ertrage den Gedanken nicht, dass ein Frauenmörder wie Karl Konstantin mit seinen grauenhaften Taten einfach davonkommen wird, nur weil er ein Mitglied des Kaiserhauses ist.“
    „Rudi sammelt, obwohl er mit anderen Fällen beschäftigt ist, nach wie vor Beweise gegen den Erzherzog. Ich habe die Hoffnung, dass er es schaffen wird, ein Verfahren gegen den Erzherzog einzuleiten, noch nicht aufgegeben.“
    „Justitia ist eine blinde Frau“, warf Vera ein.
    „Rudi wird alles tun, was in seiner Macht steht“, beteuerte Gustav.
    „Ein frommer Wunsch.“ Vera und Dorothea tauschten tiefe Blicke aus.
    „Ihr beide seid so was von pessimistisch. Ihr werdet es schon sehen, Rudi wird Karl Konstantin aufs Schafott bringen.“
    „Und du bist so was von blauäugig, Gustl!“ Dorotheas Stimme klang gereizt.
    „Lasst uns ins Bett gehen. Diese Diskussion führt zu nichts. Wir müssen abwarten, was die polizeilichen Untersuchungen ergeben“, sagte Vera und erhob sich von der Küchenbank.
    „Bitte bleib noch eine Minute, Vera. Ich habe euch etwas Wichtiges mitzuteilen. Ich habe heute die Zulassung zur Medizinischen Fakultät in Zürich bekommen. Das heißt, ich werde kommenden Februar nach Zürich gehen und ab dem Frühjahrssemester dort Medizin studieren. Weihnachten und den Jahreswechsel werde ich noch mit euch verbringen.“
    „Was für eine großartige Nachricht! Das ist ja ganz wunderbar. Ich freue mich sehr für dich, mein Kind“, rief Vera.
    Gustav war bei Dorotheas Worten erblasst. Er bemühte sich um Contenance und sagte kurz und knapp: „Ich gratuliere dir“, bevor er sich einen Cognac einschenkte. „Prost“, stieß er etwas zu laut aus und trank sein Glas in einem Zug leer.
    Vera warf ihm einen besorgten Blick zu.
    „Ist das nicht wunderbar? Unsere kleine Dorothea wird tatsächlich Ärztin. Darauf muss ich noch etwas trinken“, sagte er, schenkte sich nach und stürzte auch das zweite Glas in einem Zug hinunter. „Gute Nacht, meine Damen! Schlaft gut und träumt von der schönen Schweiz.“ Unsicheren Schrittes ging er in sein Zimmer.
    Dorothea und Vera schauten ihm verwundert nach.
    Kaum lag Gustav im Bett, begann sich alles in seinem Kopf zu drehen. Ihm war speiübel. Er wollte sich keinesfalls die Blöße geben und sich einen Kübel holen,
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