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Die Tote von San Miguel

Die Tote von San Miguel

Titel: Die Tote von San Miguel
Autoren: Jonathan Woods
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diskutierte er bei einem Glas billigen Weinbrands mit Philippe, dem Priester. Er hatte schon vor langer Zeit seinen Glauben verloren, aber trotzdem trafen sie sich immer noch regelmäßig in der einen oder anderen schäbigen bodega , um gemeinsam über den Untergang des Abendlandes zu lamentieren. In einem früheren Leben waren sie auf dieselbe Schule gegangen, hatten denselben Fußball über dasselbe staubige Spielfeld gekickt.
    Als Ortiz in Frans Wohnzimmer auftauchte, schenkte sich Diaz gerade ein Glas Wasser aus einer Flasche ein, die er im Kühlschrank gefunden hatte.
    »Dein Name und deine Telefonnummer stehen auf einem Notizblock, der neben Fran Kovacs’ Bett liegt«, sagte Ortiz. »Gibt es vielleicht irgendwas, das du mir erzählen willst, Hector?«
    »Verpiss dich!«, knurrte Diaz.
    »Heißt das, dass wir hier fertig sind? Ich habe nämlich eine Verabredung heute Abend.«
    »García kann den Rest hier erledigen. Wir haben noch ein Verhör durchzuführen.«
    Ortiz’ Gesicht nahm einen theatralisch überzeichneten leidenden Ausdruck an.
    »Verarsch mich nicht«, knurrte Diaz. »Die einzige Verabredung, die du heute Abend hast, ist die mit dem Höschen, das dir da aus der Tasche hängt.«
    Ortiz stopfte das schwarze Spitzenhöschen eilig tiefer in seine Tasche.
    Sie fuhren schweigend zurück ins Revier.
    In seinem Büro starrte Diaz das gerahmte Diplom an der Wand an und erinnerte sich an eine sommersprossige gringa mit einer scharf geschnittenen Nase, die er im letzten Jahr ihres Medizinstudiums an der Universität von Monterrey kennengelernt hatte. Ihre Fingernägel waren immer schmutzig gewesen. Diaz hatte sich gefragt, wie eine angehende Ärztin nur schmutzige Fingernägel haben konnte. Aber es hatte eine erotische Anziehung zwischen ihnen gegeben. Sie hatte seinen kurzen, aber dicken Schwanz geliebt, und er war genauso hingerissen von den rosafarbenen bodenlosen Tiefen zwischen ihren Schenkeln gewesen. Am Ende des Jahres hatte sie ihn gebeten, mit ihr an einen Ort namens Providence in Rhode Island zu ziehen, wo sie ihre Zeit als Assistenzärztin ableisten sollte. Doch er konnte es einfach nicht übers Herz bringen, San Miguel den Rücken zu kehren.
    All diese Erinnerungen. Irgendetwas wühlte die zähen Sedimente auf, die sich am Grund seines Gedächtnisses abgelagert hatten, erfüllten seinen Kopf mit längst vergessen geglaubten umherwirbelnden Bildern.
    Er griff nach den Seiten des Tagebuchs, die Jane Ryder ihm gegeben hatte. Geschrieben von Gregori Gregorowitsch.In der Mitte der zweiten Seite des zweiten Eintrags entdeckte er schließlich die Diskrepanz. Es war die Zeile: mein blick ist von den abständen zwischen den hexagonalen bodenkacheln gefesselt, gänzlich auf sie fixiert. Das X in beiden Wörtern war nicht schief geneigt.
    Diaz eilte in das Gemeinschaftsbüro des Reviers und suchte nach den Dingen, die sie in Gregorowitschs Suite im The Pines beschlagnahmt hatten. Die alte Schreibmaschine stand auf Garcías Schreibtisch, die beiden Sporttaschen lagen in der Nähe auf dem Boden. Er beugte sich über die Schreibmaschine und drückte kräftig auf eine Taste. Der Hebelarm mit dem dazugehörenden Buchstaben auf dem Stempel an seinem Ende schoss in die Höhe und schlug auf den in die Trommel gespannten Papierbogen. Das X, das dabei herauskam, war genauso schief und krumm wie seine drei paisanos .
    »Was ist los, Boss?«
    Diaz fuhr wie von der Tarantel gestochen zusammen. »Armando!«, keuchte er. »Ich dachte, du wärst schon nach Hause gegangen.«
    »Hier geht alles drunter und drüber. Ich wusste nicht, ob du nicht vielleicht bei irgendwas Hilfe brauchst.«
    »Alles unter Kontrolle.«
    »Ich habe señora Ryder zurück in ihr Hotel begleitet und ihr gesagt, dass sie San Miguel erst dann verlassen darf, wenn du es ihr erlaubst.«
    »Gut.«
    »Äh  … jefe . Was hast du da gerade mit der Schreibmaschine gemacht?«
    »Einen Test durchgeführt, Armando.« Diaz fragte sich, ob es das war, was man als praxisorientierte Ausbildung bezeichnete. Im letzten Newsletter der Judiciales hatte ein Artikelzu dem Thema gestanden. »Um zu überprüfen, ob das X auf dieser Schreibmaschine mit denen in Gregorowitschs Tagebuch identisch ist.«
    »Und, ist es identisch?«
    »Nein.«
    »Wenn das Tagebuch also nicht auf dieser Schreibmaschine getippt worden ist …«
    »… muss es irgendwo in San Miguel noch eine ganz ähnliche Schreibmaschine geben.«
    »Du bist gut, jefe .«
    »Geh nach Hause, Armando.«
    Nachdem
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