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Die Tore der Welt

Titel: Die Tore der Welt
Autoren: Ken Follett
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er starb. Ich glaube, er hat das
Versteck ausgeplaudert.«
    »Aber wem
gegenüber?«
    »Thomas verbrachte
die letzten Monate seines Lebens in St.-John-in-the-Forest, und die Mönche
ließen niemanden hinein, also muss es ein Bruder gewesen sein.«
    »Wie viele sind
es?«
    »Ungefähr zwanzig.
Aber nicht viele hätten genug vom Hintergrund gewusst, um zu begreifen, wie
bedeutend das Gemurmel eines alten Mannes über einen vergrabenen Brief war.«
    »Das ist alles
schön und gut, aber wo ist das Schriftstück jetzt?«
    »Ich glaube, ich
weiß es«, sagte Merthin. »Habt noch ein wenig Geduld.«
    »Na schön.«
    Sie kehrten zur
Stadt zurück. Als sie die Brücke überquerten, senkte sich die Sonne auf Leper
Island hinab. Sie gingen in die Kathedrale, in der es schon düster wurde,
begaben sich zum Südwestturm und stiegen die schmale Wendeltreppe zu dem
kleinen Raum hinauf, in dem die Kostüme für die Mysterienspiele aufbewahrt
wurden.
    Merthin war elf
Jahre lang nicht hier gewesen, doch staubige Lagerräume ändern sich kaum und in
Kathedralen schon gar nicht; auch hier war es so. Er suchte den losen Stein in
der Mauer und zog ihn heraus.
    Hinter dem Stein
lagen sämtliche Schätze Philemons einschließlich der geschnitzten
Liebesnachricht. Und unter ihnen fand sich nun auch eine Tasche aus geölter
Wolle. Merthin öffnete sie und zog eine Pergamentrolle heraus.
    »Dachte ich es mir
doch«, sagte er. »Philemon hat das Geheimnis erfahren, als Thomas den Verstand
verlor.« Ohne Zweifel hatte Philemon den Brief als Faustpfand behalten, sollte
man sich bei der Besetzung des Bischofsamtes gegen ihn entscheiden — doch nun
konnte Merthin das Schreiben für seine Zwecke verwenden. Er reichte Gregory das
Pergament.
    Gregory entrollte
es. Während er es las, trat ein andächtiger Ausdruck in sein Gesicht. »Gütiger
Gott«, sagte er. »Die Gerüchte sind also wahr.« Er rollte das Pergament wieder
zusammen. In seinem Gesicht stand die Miene eines Mannes, der nach vielen
Jahren endlich am Ziel seiner Suche angelangt war.
    »Ist es, was Ihr
erwartet habt?«, fragte Merthin.
    »Aber ja.«
    »Und der König wird
dankbar sein?« »Zutiefst.«
    »Euer Teil der
Abmachung …?«
    »Wird eingehalten«,
sagte Gregory. »Claude soll Euer Bischof werden.«
    »Amen«, sagte
Merthin.
     
    Acht Tage später
war Caris frühmorgens im Hospital und lehrte Lolla, einen Verband anzulegen,
als Merthin hereinkam. »Ich möchte dir etwas zeigen«, sagte er. »Komm in die Kathedrale.«
    Es war ein heller,
klarer Wintertag. Caris hüllte sich in einen schweren roten Umhang. Als sie
über die Brücke in Richtung Stadt gingen, blieb Merthin stehen und deutete nach
vorn. »Die Turmspitze ist fertig«, sagte er.
    Caris blickte hoch.
Sie konnte die Form durch das Spinnennetz der zerbrechlichen Gerüste erkennen,
die den Turm noch umgaben. Die Spitze war außerordentlich hoch und anmutig. Als
ihr Blick der aufwärts strebenden Verjüngung folgte, hatte Caris das Gefühl,
sie würde niemals aufhören.
    »Und es ist das
höchste Gebäude Englands?«, fragte sie.
    Er lächelte. »Ja.«
    Sie folgten der
Hauptstraße und gingen in die Kathedrale. Merthin führte sie die Treppe hoch,
die sich innerhalb der Wände des Kirchturms hinaufzog. Er war daran gewöhnt,
sie hochzusteigen, aber Caris keuchte, als sie am Ende der Treppe an die Luft
kamen und auf dem Laufgang standen, der die Basis der aufgesetzten Spitze umgab.
Hier oben war der Wind kalt und schneidend.
    Während Caris Atem
schöpfte, genossen sie die Aussicht. Nach Norden und Westen lag ganz
Kingsbridge unter ihnen: die Hauptstraße, das Gewerbeviertel, der Fluss und die
Insel mit dem Hospital. Aus tausend Schornsteinen stieg Rauch auf. Winzige
Menschen eilten durch die Straßen, gingen zu Fuß, ritten oder fuhren auf Karren,
trugen Werkzeugtaschen, Körbe mit Esswaren oder schwere Säcke; Männer, Frauen
und Kinder, dick oder dünn, die Kleidung armselig und abgetragen oder teuer und
schwer, meist braun und grün, aber zwischendrin Tupfer in Pfauenblau und
Scharlachrot. Ihr Anblick erfüllte Caris mit Staunen: Jeder dieser Menschen
hatte sein eigenes Leben, und jedes einzelne davon war voller Verwicklungen und
unerwarteter Wendungen, mit dramatischen Situationen in der Vergangenheit und
Herausforderungen, die noch in der Zukunft lagen, mit glücklichen Erinnerungen
und geheimem Kummer und einer Schar von Freunden und Feinden und teuren
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