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Die Tore der Welt

Titel: Die Tore der Welt
Autoren: Ken Follett
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Übermut und Trunkenheit hemmungslos zunutze.
Sie bedachte ihn mit einem aufreizenden Lächeln, solange sie getrennt tanzten,
und wenn sie wieder zusammen kamen, schmiegte sie sich an ihn wie ein nasses
Hemd.
    Der Tanz schien
sich ewig hinzuziehen. Aaron Appletree wiederholte die schmissige Melodie
unablässig auf seinen Sackpfeifen. Gwenda kannte die Stimmungen ihres Mannes,
und nun sah sie das Funkeln in seinen Augen, das immer erschien, kurz bevor er
sie bat, mit ihm zu liegen. Annet weiß genau, was sie tut, dachte Gwenda
wütend. Sie rutschte ruhelos auf der Bank umher, wollte nur noch, dass die
Musik aufhörte, und versuchte, sich ihren Zorn nicht anmerken zu lassen.
    Dennoch kochte sie
vor Empörung, als die Melodie mit einem Tusch endete. Sie hatte sich
entschieden, dass sie Wulfric bezähmen und neben ihr sitzen lassen würde. Für
den Rest des Nachmittags hielte sie ihn dicht bei sich, und es gäbe keine
Schwierigkeiten.
    Doch dann küsste
Annet ihn.
    Während er noch die
Hände auf ihrer Taille hatte, stellte sie sich auf die Zehenspitzen, legte den
Kopf in den Nacken und küsste ihn auf die Lippen, kurz, aber bestimmt; und in
Gwenda kochte es über.
    Sie sprang von der
Bank und stapfte durch die Halle. Als sie am Brautpaar vorbeikam, sah Davey den
Ausdruck im Gesicht seiner Mutter und versuchte sie aufzuhalten, aber Gwenda
achtete nicht auf ihn. Sie trat auf Wulfric und Annet zu, die sich noch immer
ansahen und töricht zulächelten. Mit ihrem Finger stach sie in Annets Schulter und
sagte laut: »Lass meinen Mann in Ruhe!«
    Wulfric sagte:
»Gwenda, bitte —«
    »Sag kein Wort«,
erwiderte Gwenda. »Halt dich nur von dieser Hure fern.«
    Annets Augen
blitzten trotzig auf. »Huren tanzen nicht — oder werden zumindest nicht dafür
bezahlt.«
    »Ich bin sicher, du
kennst dich mit allem aus, was Huren tun.« »Was erlaubst du dir!«
    Davey und Amabel
kamen herbei. Amabel sagte zu Annet: »Bitte brich keinen Streit vom Zaun, Ma.«
    »Das tue nicht ich,
sondern Gwenda!«
    »Ich versuche hier
nicht, den Mann einer anderen Frau zu verführen«, entgegnete Gwenda.
    Davey sagte:
»Mutter, du verdirbst die ganze Hochzeit.«
    Gwenda war zu
wütend, um zuzuhören. »Ständig tut sie es. Vor dreiundzwanzig Jahren hat sie
ihm den Laufpass gegeben, aber loslassen wollte sie ihn nie!«
    Annet begann zu
weinen. Gwenda war nicht erstaunt. Tränen waren für Annet nur eine weitere
Methode, das zu bekommen, was sie wollte.
    Wulfric streckte
die Hand vor, um Annet auf die Schulter zu klopfen, und Gwenda fuhr auf: »Fass
sie nicht an!« Er riss die Hand zurück, als hätte er sich verbrannt.
    »Du verstehst das
nicht«, schluchzte Annet.
    »Ich verstehe dich
nur zu gut«, erwiderte Gwenda.
    »Nein, das tust du
nicht«, sagte Annet. Sie wischte sich die Augen und sah Gwenda erstaunlich
direkt und offen an. »Du verstehst nicht, dass du gewonnen hast. Er gehört dir.
Du weißt nicht, wie er dich verehrt, respektiert und bewundert. Du siehst
nicht, wie er dich anhimmelt, wenn du mit jemand anderem sprichst.«
    Gwenda war
verblüfft. »Also …«, murmelte sie, aber sie wusste nicht, was sie sonst sagen
sollte.
    Annet fuhr fort:
»Beäugt er jüngere Frauen? Schleicht er sich je von dir fort? Wie viele Nächte
habt ihr in den letzten zwanzig Jahren getrennt geschlafen? Begreifst du denn
nicht, dass er in seinem ganzen Leben niemals eine andere Frau lieben wird als
dich?«
    Gwenda sah Wulfric
an und erkannte, dass Annet die Wahrheit sprach. Im Grunde war es
offensichtlich. Gwenda wusste es, und jeder andere im Dorf auch. Sie versuchte
sich zu erinnern, weshalb sie so zornig auf Annet war, doch irgendwie entglitt
ihr die Überlegung immer wieder.
    Der Tanz hatte
aufgehört, Aaron die Sackpfeifen hingelegt. Sämtliche Dörfler scharten sich um
die beiden Frauen, die Mütter des Brautpaares.
    Annet sagte: »Ich
war töricht und selbstsüchtig, und ich habe eine dumme Entscheidung getroffen
und den besten Mann verloren, dem ich je begegnet bin. Und du hast ihn
bekommen. Manchmal kann ich der Versuchung nicht widerstehen, so zu tun, als
wäre es anders gekommen, und er gehörte mir. Deshalb lächle ich ihn an, deshalb
tätschle ich seinen Arm; und er ist so lieb zu mir, weil er weiß, dass er mir
das Herz gebrochen hat.«
    »Du hast dir dein
Herz selbst gebrochen«, erwiderte Gwenda.
    »Richtig. Und du
bist die Glückliche, der meine Dummheit zugute gekommen ist.«
    Gwenda
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