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Die Töchter der Lagune

Die Töchter der Lagune

Titel: Die Töchter der Lagune
Autoren: Silvia Stolzenburg
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Zimmer darstellte. Immer noch nur mit einem Untergewand bekleidet, hatte sie sich noch nicht entschieden, was sie darüber tragen sollte. Vielleicht konnte sie eines der Kleider anlegen und das andere einpacken. Sie legte das rote Gewand auf einen einfachen Stuhl neben dem Spiegel und hielt sich das goldene an, um zu sehen, wie sie darin aussah. Die Farbe passte hervorragend zu ihrem hellblonden Haar und den blauen Augen, ließ sie jedoch sonnengebräunt erscheinen wie eine Bäuerin. Mit einem unwilligen Laut schob sie die Unterlippe vor und kniff die Augen zusammen. Wie sie ihre Haut hasste! Wie gern würde sie auch über die edle Blässe ihrer Mutter und der anderen Signore verfügen, obschon sie vermutete, dass diese nicht ganz natürlich war. Sie zwickte sich in die Wange und betrachtete versonnen die leichte Rötung, die sich daraufhin ausbreitete. Warum, um alles in der Welt, konnte sie nicht die Färbung eines Schwanes haben – so wie die Mode es verlangte?! Warum, bei allen Heiligen, musste sie aussehen wie eine Walnuss, die man in der Sonne getrocknet hatte? Ärgerlich über sich selbst fegte sie ihr Haar aus der Stirn, legte den Kopf schief und begutachtete ihre Erscheinung von Kopf bis Fuß. Mit dem Rest ihres Körpers war sie mehr oder weniger zufrieden, auch wenn sie sich manchmal wünschte, ihre Hüften wären ein wenig ausladender und ihre Brust ein wenig voller. Kopfschüttelnd wandte sie sich nach einigen Augenblicken vom Spiegel ab und blinzelte den Ärger beiseite.
     
    Gerade als sie das goldene Kleid niedergelegt hatte, um sich das rote anzuhalten, wurde die Tür zu ihrer Kammer aufgerissen und Maria, ihre Zofe, kam hereingeeilt. „Beeilt Euch, Signorina, der Herr hat mir befohlen, Euch wissen zu lassen, dass wir in weniger als zwei Stunden aufbrechen!“ Elissa schrak zusammen und das Kleid glitt ihr aus der Hand. „ Dio mio , Maria!“, rief sie aus. „Ich habe mich zu Tode erschreckt!“ Ihr Herz hämmerte heftig gegen ihre Rippen und die Aufregung schlug wie eine Welle über ihr zusammen. Zwei Stunden! Warum hatte sie nicht früher angefangen zu packen?! Ihre Mutter hatte sie immer wieder ermahnt, aber sie hatte noch so viel Zeit gehabt bis zu ihrer Abreise. Und jetzt, ganz plötzlich, war der Tag gekommen und sie hatte noch kaum etwas verstaut. „Ich werde Euch zur Hand gehen.“ Maria, die schon Elissas Amme gewesen war, trat zu ihr und hob das rote Gewand auf. „Zieht dieses an“, empfahl sie. „Darin seht Ihr frisch und jung aus.“ Elissa nahm ihr gehorsam das Kleid aus der Hand und kämpfte sich hinein. Als sie es schließlich zurechtgezupft hatte, wandte sie Maria den Rücken zu, damit diese sie zuschnüren konnte. „Nicht so eng“, keuchte sie. „Das tut weh!“ Maria legte, so wie die meisten der älteren Frauen, die Erbarmungslosigkeit eines Soldaten an den Tag, wenn es darum ging, gut auszusehen. „Beklagt Euch nicht. Ihr werdet dankbar sein, wenn Ihr heute Eurem zukünftigen Gemahl begegnet.“ Elissa verdrehte die Augen. Warum waren nur alle so scharf darauf, sie zu verheiraten? Sie war schließlich erst dreizehn Jahre alt, und die meisten Mädchen verlobten sich nicht, bevor sie fünfzehn waren. Während Maria ihr Haar flocht und sie mit Schmuck behängte, breitete sich ein Schwarm Schmetterlinge in ihrem Bauch aus, und sie malte sich aus, was sie in Rom alles erleben würde.
     
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Venedig, Arsenal, Dezember 1570
     
    Francesco di Lamones Erschöpfung war beinahe greifbar. Nicht nur seine Augen und Muskeln brannten wie Feuer, auch sein Rücken schien von einer unsichtbaren Last gebeugt. Erst vor Kurzem war die venezianische Flotte von ihrem fruchtlosen Ausflug nach Kreta zurückgekehrt, und noch immer schien sich der Boden unter seinen Füßen im Rhythmus der Wellen zu bewegen. Der Allianz war es nicht gelungen, zu einer Übereinstimmung über die weitere Vorgehensweise zu gelangen, um den Einwohnern von Famagusta, der letzten befestigten Stadt auf Zypern, die dem Feind Widerstand leistete, zur Hilfe zu kommen. Nikosia war gefallen, und die schrecklichen Verluste hatten Kyrenia dazu veranlasst, sich dem furchterregenden osmanischen General Lala Mustafa Pascha zu ergeben. Seit Oktober dieses Jahres war Famagusta vom Feind umzingelt, wobei die lächerlich kleine Streitmacht der Venezianer im Inneren der Stadt den Türken um ein Vielfaches unterlegen war. Die Stimmung an Bord seines Schiffes war während der Überfahrt zurück nach Venedig gedrückt gewesen,
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